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Der Zeit Zeit geben

Der Zeit Zeit geben

Sonntag, 25. September 2011

Rund 300 Gäste waren teilweise von weit her in die Zehntscheune nach Hämelschenburg gekommen, um zusammen mit den Gastgebern Lippold und Christine von Klencke eine der letzten, seit langem ausverkauften Veranstaltungen des diesjährigen „Literaturfests Niedersachen“ zu erleben.

Bild: Las in der Zehntscheune in Hämelschenburg – Martina Gedeck

Bei insgesamt 28 Literaturterminen spürte das von der VGH-Stiftung durchgeführte sechste Literaturfest von 8. bis zum 25. September literarischen Auseinandersetzungen mit dem Thema „Zeit“ nach. „Von Faulpelzen und Geistesblitzen, Müßiggang – der Zeit Zeit geben“, so das Motto der in der Zehntscheune zu hörenden Texte und Töne.

Einen „zeitlos schönen Literaturabend“ hatten die Veranstalter versprochen und ihr Versprechen mit einem glänzend aufgelegten Kairos Quartett und einer hochkonzentriert und brillant rezitierenden Martina Gedeck absolut eingelöst.

Ob burn-out Syndrom, Stress, Turbo-Kapitalismus oder auch nur normale Alltagshektik, all das fiel rasch von den langsam zur Ruhe kommenden Besuchern ab, wenngleich ab und an noch irgendwo in einer Tasche ein auf Vibrieren gestelltes Mobiltelefon surrte und ein durchs Emmertal dröhnender Güterzug die Unerbittlichkeit der Fahrplanzeiten anmahnte.

Marina Gedeck, international renommierte, aus zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen bekannte und vielfach ausgezeichnete Schauspielerin, passte zu Beginn eine Reihe von Zeit-Aphorismen in die vom Kairos-Quartett mit höchster Intensität gespielten Kompositionen moderner Musik ein.

Ein philosophisch-literarisches Aphorismen-Kaleidoskop zum Lob des Müßiggangs: Muße sei die Schwester der Freiheit (Sokrates), Einsamkeit und Faulheit liebkosten die Fantasie (Dostojewski). Man solle auch einfach mal „das Leben auf sich regnen lassen“, so Rahel Varnhagen, und dass Tätigkeit der letzte Ausweg für jene sei, die nicht verstünden zu träumen, ließ der um kein Bonmot verlegene Oscar Wilde verlauten.

Glücklicherweise erschöpfte sich die vom ehemaligen künstlerischen Leiter des Berliner Schiller-Theaters, Gerhard Ahrens, zusammengestellte Textauswahl nicht in einer bloßen Anhäufung von Aphorismen, sondern erweiterte die Betrachtungen über Zeit und Müßiggang um die Kategorien des Schönen und des Religiösen.

„Müßiggang, Du  heiliges Kleinod, einziges Fragment der Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb“, jubelte etwa Friedrich Schlegel. In einem berauschend schönen Hölderlin-Text und einem Fragment aus Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ kulminierten die literarischen Zeit-Betrachtungen.

Mit drei Streichquartett- Bearbeitungen von Erik Satie und einem mitreißend gespielten „String Quartet in Four Parts“ von John Cage entgegnete das Kairos Quartett gewohnten Wahrnehmungsformen musikalischer Zeitdimensionen ebenso wie vertrauten Hörmodellen. Die Notwendigkeit, sich auf das Unwägbare der Kompositionen, deren Abkehr von einer verinnerlichten Kultur der Berechenbarkeit und den kausalen Zwanghaftigkeiten des Alltags einzulassen, forderte das Publikum zwar gewaltig, bot aber gleichzeitig eine unerwartete Chance zur Begegnung mit neuen, faszinierenden Erfahrungen.

„Vor allem der Cage ging mir mit jedem Ton unter die Haut“, resümierte ein Besucher, der sich wie hoffentlich viele andere die herrliche Symbiose von Texten und Tönen dieses  Abends zumindest ein sonniges Wochenende lang – so wie Nietzsches Zarathustra – in einigen Momenten der „Stille und damit der Vollkommenheit des Glücks“ bewahren konnte.

Bild: von li.: Claudius von Wrochem, Stefan Häussler, Wolfgang Bender und Simone Heilgendorff sind das Kairos Quartett

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