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„Uns stinkt´s!“ – Podiumsdiskussion zum Thema Agrarfabriken

„Uns stinkt´s!“ – Podiumsdiskussion zum Thema Agrarfabriken

Freitag, 05. Oktober 2012

Mit „Müssen wir essen, was auf den Tisch kommt?“ hatte Dr. Matthias Miersch seine Ausführungen überschrieben. Der SPD-Bundestagsabgeordnete,  umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion, war einer der prominenten Teilnehmer, die der Einladung des Münderaner SPD-Stadtverbandes gefolgt waren.„Das Thema rückt uns langsam auch hier auf den Pelz“, stellte Ratsherr Uwe Nötzel einleitend fest. Statt weit weg in Vechta oder Cloppenburg gerate auch das Deister-Sünteltal zunehmend ins Visier der Betreiber agro-industrieller Großbetriebe. Mit allen unangenehmen Begleiterscheinungen wie Biogasanlagen, Maiswäldern, Güllegestank oder erhöhte Pestizidausbringung.

 

Agrarpolitik sei auch Gesellschaftspolitik, stellte Miersch klar, der seinen Beitrag in drei Forderungen münden ließ: zum einen nach mehr Transparenz für den Verbraucher durch klarere Kennzeichnungsvorgaben, des Weiteren nach der  „Steuerungshoheit“ für die Kommunen, die aufgrund einer Regelung aus der Frühzeit der Republik noch immer kein Genehmigungsrecht bei der Errichtung industrieller Agraranlagen haben, und drittens nach einer EU-weiten Neudefinition, was für eine Landwirtschaft man eigentlich wolle. Miersch: „Brüssel denkt immer noch in rein quantitative Steigerungsraten.“ Die Fehlentwicklung liege aber gerade in einem „Masse statt Klasse“-Denken, einer unreflektierten Agrarproduktion auf „Geiz- ist-geil“-Grundlage, an deren Ende sich der Landwirt als „neuer Leibeigener der Agarkonzerne“ wiederfinden werde.

Mierschs Fazit: „Wir brauchen neue Werte in diesem Bereich, damit Energie, Wasser und Agrarprodukte bezahlbar bleiben, und uns das vermeintlich billige Fleisch am Ende nicht teuer zu stehen kommt.“

Drastische Worte und Beispiele für die Agrarmisere fand auch  Eckehard Niemann von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“, der darauf hinwies, dass die Zeiten eines „Wachsens oder Weichens“ als Handlungsmaxime bäuerlichen Wirtschaftens längst passé  seien. Das Schicksal der Milchviehbauern werde auch die anderen Landwirte erwischen, dennoch investierten die derzeit ohne nachzudenken, um am Ende Opfer der Konzerne zu werden. Niemann sagte eine vereinheitlichte „Konzernlandschaft“ voraus, die der staatlichen Planwirtschaft in der ehemaligen Sowjetuinon um nichts nachstehe.

„Ja, wir brauchen vielfältigen Schutz“, bekräftigte auch der Barsinghäuser BUND-Sprecher Michael Hettwer: Schutz vor gesundheitlichen Gefahren, vor Lärm, Gestank, vor dem Wertverfall von Immobilien in der Nähe von Großstallanlagen. Allein schon die Zahl von jährlich einer halben Milliarde geschlachteter Hühnchen verdeutliche einen gigantischen Irrweg.

Beängstigend die Ausführungen des Hamelner Mediziners Dr. Ludger Frieler, der sich mit den Gefahren durch die Zunahme Antibiotika-resistenter Keime beschäftigte. „Geflügelverzehr“, so das Fazit des Arztes, „das ist ein Glücksspiel mit unbekanntem Ausgang.“ Rund 1735 Tonnen Antibiotika werden nach jüngsten Erhebungen derzeit jährlich in Mastbetrieben verwendet. Eine endlich  beschlossene Meldepflicht greife erst 2013.

„Uns in Hachmühlen stinkt´s“, erregte sich der ehemalige Ratsvorsitzende Helmut Steinwedel in der lebhaften Diskussion, und erfuhr vom Podium, dass der Landkreis auf Beschwerden etwa in Form von Protokollierungen der Geruchsbelästigungen nur warte. „Melden Sie sich und die Vorkommnisse, organisieren Sie sich vor Ort“, rieten Hettwer und Frieler, und der Landtagsabgeordnete Ulrich Watermann fügte hinzu: „Zwingen Sie die Verursachen zu einer Aussprache, denn die Landwirte wissen, dass sie ohne die Akzeptanz der Bevölkerung nicht mehr auskommen.“ Massentierhaltung sei im Bewusstsein der Öffentlichkeit heute allgemein geächtet.

Die Angesprochenen freilich waren der Veranstaltung ferngeblieben, so dass ein Dialog nicht stattfinden konnte. Eckehard Niemanns Erklärung: „60 Jahre Lobbyarbeit haben eben ihre Spuren hinterlassen. Die Bauern sind sprachlos, denn ihr Verband ist viel zu sehr mit den Konzernen, den Schlachtbetrieben, Saatgutherstellern und Molkereien verflochten.“

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