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Wie viele Rillen hat eine Vinyl-Platte?

Wie viele Rillen hat eine Vinyl-Platte?

Sonntag, 21. Juli 2013

Während sich an der Weserpromenade in Höhe der „Sumpfblume“ wahre Menschenmasse in der knallenden Mittagshitze an den Ständen des Flohmarktes entlangschieben, herrscht im „Sumpfblumen“-Foyer angenehme Kühle. Nur ein Hauch Bratwurstduft weht von draußen herein. Einsam wacht hier ein „Sumpfblumen“-Mitarbeiter über ein gutes Dutzend prall gefüllter Waschkörbe, aus denen handschriftliche Hinweise wie „Pop / Rock / Gothic /Verschiedenes“ herausragen. Doch kaum jemand verirrt sich zur zeitgleich mit den Flohmarkt stattfindenden „CD- und Plattenbörse“.

Dabei warten hier – gut vor  Sonnenstrahlen und Hitze  geschützt – wahre Schnäppchen auf echte Kenner. Frank Strothmann etwa ist eigens aus Bielefeld an die Weser gereist. Der 51-Jährige klappert an jedem Wochenende Musik-Flohmärkte ab, immer auf der Suche nach etwas Besonderem. „Meine erste Vinyl-LP war ´Glenn Miller´s  greatest hits´“, erinnert er sich. „Die habe ich immer wieder gehört“, sagt er, und lässt die Finger gedankenvoll durch den Stapel mit mehr als hundert Vinyl-Langspielplatten gleiten. „Ah, easy rider“, schmunzelt er schließlich, als er fündig wird.

Der wärmere Klang sei es, der die alten LPs aus dem analogen Zeitalter von modernen, digitalen CDs unterscheide. „Die sind zu sehr auf Dynamik gepresst“, klagt der Experte. „Na, und die LP-Cover erst, die sind mitunter wahre Kunstwerke.“

Dass Plattencover Sammler anziehen, weiß auch „Sumpfblumen“-Geschäftsführer Andrä Scholz. „Geringe Auflagen und Besonderheiten wie das Eloy Mülleimer-Cover, das hat schon Wert für Sammler“, sagt der. Seit Einrichtung des Flohmarktes Anfang der 90er Jahre finde ab und an parallel dazu auch die CD- und Plattenbörse statt. „Mitmachen kann jeder. Aber man sollte sich vorher über Preise und den Markt im Internet kundig machen“, rät Andrä. „Ein sehr spezielles Gebiet. Mittlerweile gibt es sogar Leute, die CDs auf mit besonderen Geräten zuhause wieder auf Vinyl umschneiden.“

„Nein, ich habe keinen Plattenspieler“, erzählt Martin Kraft. Der 28-jährige HSW-Absolvent erinnert sich. Seine erste „Platte“ habe er bei seinen Eltern gehört. „Da muss ich drei oder so gewesen sein. Welcher Titel? Keine Ahnung.“ Einer seiner ehemaligen Kommilitonen sei ein Vinyl-Fan. „Der bestellt sich die Sachen sogar aus Großbritannien.“ Zusammen mit seiner Freundin Svenja Möller prüft Martin, ob eine alte Beatles-LP wohl als Geschenk für die Eltern taugt. „Die haben noch so ein Abspielgerät“, sagt er.

Der Reiz dieser alten schwarzen Scheiben? „Liegt wohl im Charakter der Sachen, so wie bei alten Büchern auch“, sagt die Germanistik-Studentin Svenja. Auch dass man den technischen Vorgang noch richtig sehen könne und nicht alles irgendwo und irgendwie versteckt in einem Gerät passiere, das habe einfach Charakter.

„Das ist so ´ne Scheibe und die hat ganz viele Rillen, und dann kommt da so eine Nadel drauf, und dann macht die Musik“, beschreibt der achtjährige Jan den Abspielvorgang. Seine Schwester Lisa ist zehn. Sie ist eher mit den Bedienfunktionen eines modernen MP3-Players vertraut. Dennoch lauscht sie  geduldig den Erklärungen von Papa Michael. Der ist 47 und hat gerade einige der Vinyl-Scheiben erworben. „Die höre ich mir mit einer Frau zuhause mal in Ruhe an“, verrät er. „Unser Bruder macht damit ´scratching´“, gestehen Lisa und Jan. Eine Bemerkung, bei der es Vater Michael sichtlich graust.

Dass Vinyl-Platten, egal ob als Single oder LP, in der Tat nur eine lange Rille haben, weiß natürlich auch der Endfünfziger Dirk Buhr. Der ist aus Bad Eilsen herübergekommen und auf der Suche nach einer bestimmten Dusty-Springfield-LP. „Zuhause höre ich nur Vinyl“, sagt er. Da sei der Klang einfach besser. Besser im Sinne von authentischer, lebendiger, nicht unbedingt rein auf die technischen Werte bezogen. Und dass die Cover manchmal Kunstwerke seien, bestätigt auch er. „Dagegen ist doch eine CD einfach mager, und beim MP3 Download gibt´s das gar nicht mehr.“ Sagt´s und lässt das bunte Cover mit dem jugendlichen Peter Maffay schnell wieder im Stapel verschwinden.

 

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