Vorstoß in die erste Liga
Vorstoß in die erste Liga
Freitag, 27. November 2015
„Der Veranstaltungsort ist der großen Nachfrage geschuldet“, erklärt der Vorsitzende der Hamelner Bibliotheksgesellschaft, Bernd Bruns. Statt wie üblich in einem Raum der oberen Etage der Pfortmühle strömten die Besucher diesmal in die gläserne Mensa des Schiller-Gymnasiums. Die ist barrierefrei zu erreichen und lichtdurchflutet. Einzig eine zu leise eingestellte Mikrophonanlage beinträchtigte die Lesung anfangs. Und dass sich die Autorin infolge einer Widrigkeit im Bahnverkehr verspätete, ist den beflissenen Veranstaltern nicht anzulasten.
Bild: Bernd Bruns und Ulla Hahn
Die haben mit der Erfolgsautorin Ulla Hahn nicht nur eine der Größen der deutschen Literaturszene verpflichten können, sondern offenbar auch das Interesse des literarischen Publikums in Hameln und Umgegend zielgenau getroffen.
Es waren zumeist die vielfach schon ergrauten Alt-68er, die die Sitzreihen füllten. Jene, die sich nach der großen Revolte auf dem Marsch durch die Institutionen dann doch bürgerlich komfortabel eingerichtet haben.
Und so wäre dann die Frage, was von Hahns zwischen autobiografisch inspiriertem und fiktiver Romanhandlung pendelnden Text die Gemüter der Zuhörer am meisten bewegt, hochinteressant.
In Hahns „Spiel der Zeit“ lässt die Autorin, studierte und vielfach preisgekrönte Germanistin, in leisen, intensiven, ja beinahe eine Spur zu schnell dahinhuschenden Tönen, ihre Protagonistin Hilla Palm, Arbeiterkind vom Dorf, als Studentin in Köln ankommen. Man schreibt das Jahr 1968 und Hahns Alter Ego schwankt zwischen der Suche nach Orientierung in den politisch-geistigen Erschütterungen der Zeit, der den bürgerlichen Mief wegfegenden Freiheit des Denkens und persönlicher Identitätssuche. Ja, und dann ist da ja auch noch die Liebe.
„Ich war selbst 68-er, Kommilitone von Benno Ohnesorg und am 2. Juni auch dabei“, erinnert sich auch Bruns. Mit Ulla Hahn, die nach einer Lesung in Hannover nun auch in Hameln den dritten Teil ihrer Trilogie um Hilla Palm vorstellt, haben Bruns und sein Vorstandsteam eine Wunschkandidatin an die Weser holen können.
Möglich geworden ist das insbesondere durch die großzügige Unterstützung eines Einzelspenders. Bruns: „Keiner der sonst üblichen Kultursponsoren, sondern in der Tat eine Einzelperson, deren literatur- und kunstbeflissene Tante für diese Zwecke eine beträchtliche Summe zur Verfügung gestellt hat.“
Mit Ulla Hahn und ihrer Lesung aus „Spiel der Zeit“ sind Bruns und sein Team „in die erste Liga“ vorgestoßen. „Viele wollen oder können leider nicht“ bedauert der Vorsitzende der Bibliotheksgesellschaft. Beispielsweise Uwe Timm oder Herta Müller. Deren Gastspiele in Hameln bleiben weiterhin unerfüllte Träume. Doch Ulla Hahns literarische Reise zurück in die 68-Ära des radikalen Umbruchs, zu den Sehnsüchten und Leidenschaften, die eine ganze Generation prägten, dargestellt in einem meisterlichen Entwicklungsroman, ließ sich in der Schiller-Mensa den einen oder anderen wegträumen in jene Tage, die die bundesdeutsche Gesellschaft letztlich doch nachhaltig veränderten.