Chopin im Schaafstall
Chopin im Schaafstall
Sonntag, 15. August 2010
„Musik kann nicht in Prosa reden“, schrieb Fédéric Chopin einst an den Maler Eugène Delacroix. Dem mag so sein, doch was das Quartett aus den beiden Rezitatoren Leslie Malton und Felix von Manteuffel sowie den beiden Musikern Hinrich Alpers, Klavier, und Sabine Frick, Violoncello, im bis auf die letzte Treppenstufe besetzten Egestorfer „Schaafstall“ zu Gehör brachte, erwies sich dennoch als eine perfekt gelungene Symbiose aus Wort und Musik.
Bild: von li. Dr. Ernst Jürgen Kirchertz, Hinrich Alpers, Sabine Frick, Leslie Malton, Felix von Manteuffel
Die Nachfrage war gewaltig gewesen, die Veranstaltung seit langem ausverkauft. Da war es völlig unerheblich, dass Ernst Jürgen Kirchertz einen kleinen „historischen Irrtum“ aufklärte, ging es doch nicht wie angekündigt um einen Briefwechsel zwischen Chopin und George Sand, – die 20000 Briefe hatte seine Lebensgefährtin nach der Trennung 1849 größtenteils verbrannt -, sondern um einzelne Texte der beiden übereinander.
„Das Zusammensuchen hat sehr viel Zeit gekostet, aber noch mehr Spaß gemacht“, so Kirchertz, der vor allem in Antiquariaten fündig wurde und die bereits mehrfach im „Schaafstall“ gastierenden Schauspieler Leslie Malton und Felix von Manteuffel als Rezitatoren seiner Textauswahl gewinnen konnte.
Mit dem „Allegro moderato“ aus der selten gespielten Cellosonate g-moll op. 65 eröffneten der unlängst mit dem Preis der International Telekom Beethoven Competition Bonn ausgezeichnete Pianist Hinrich Alpers zusammen mit seiner Frau Sabine Frick einen Abend, der tiefe Einblicke in Chopins Charakter, seinen musikalischen Genius sowie seine Beziehung zu George Sand bot.
Da kommentierte Chopin etwa mit reichlich Witz und Ironie die Feststellung, dass „Musik in England nicht als Kunst, sondern als Handwerk“ angesehen werde, spottete über die Britinnen, die mit „viel Gefühl falsche Noten“ spielten und ihrer Begeisterung mit einem fortwährenden „like water“ Ausdruck verliehen. Chopins Kommentar: „Alles Originale, Gott schütze sie!“
Zum Höhepunkt der Veranstaltung aber geriet zweifellos die textliche Umrahmung des Regentropfen-Préludes durch eine wild-dramatische Schilderung George Sands, deren nahezu surrealistischer Zuschnitt von Hinrich Alpers in einer an Gefühlsdichte kaum zu überbietenden Interpretation von Chopins berühmter Komposition transformiert wurde.
Die Texte kreisten hauptsächlich um den Aufenthalt der beiden auf der Insel Mallorca, „jenem wunderbaren Land“, so George Sand, das „jedoch kaum auf Gäste eingerichtet“ sei. Der lungenkranke, dem „Tod mit bitterer Wollust“ entgegensehende Chopin, präsentierte sich dabei zum einen als jemand, der der Welt entflohen zu sein schien, andererseits bereitete er mit einer langen kuriosen Bestellliste an einen Freund seine Rückkehr nach Paris vor.
Aus Wort und Musik entstand so das Spektrum einer Beziehung zwischen einer sich aufopfernden, liebenden Frau und Literatin und einem dem Tod entgegensehenden Musikgenie.
An diesem Abend im „Schaafstall“ ergänzten sich beide noch einmal perfekt – nicht zuletzt dank des großen Könnens ihrer Interpretatoren.