„Deutschlaaand, Deutschlaaand“ – „Public Viewing“ in der Rattenfängerhalle
„Deutschlaaand, Deutschlaaand“ – „Public Viewing“ in der Rattenfängerhalle
Sonntag, 10. Juni 2012
Für die Tagesschau-Mitteilungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der riesenhaft aber stumm auf der 8 mal 6 Meter großen Leinwand in der Rattenfängerhalle erscheint, interessiert sich an diesem Abend niemand wirklich. Schon lange vor dem Anstoß zum Eröffnungsspiel der Fußball-EM drängen die Besucher in die Halle.
Viele der in die deutschen Nationalfarben gehüllten Fans genießen allerdings draußen den Sonnenschein, wechseln erst kurz vor Spielbeginn nach drinnen. Die zehn Security-Mitarbeiter leisten Schwerarbeit, und auch die beiden Thekenkräfte Aileen und Hanna zapfen, was das Zeug hält, füllen Plastikbecher um Plastikbecher.
„Wir haben zwei große Theken, eine private Sicherheitsfirma und fünf eigene Leute im Einsatz“, erklärt Oliver Meinecke von Hameln-Marketing und Tourismus (HMT). Nach den ersten ´Public viewing´ auf der Hochzeitshausterrasse 2006, der EM 2008, bei der Halbfinale und Finale angeboten wurden, folgte dann 2010 die ganze WM. „Das ist gut angenommen worden, und wohl das größte ´public viewing´ im Weserbergland“, so Meinecke.
Noch kurz nach der Generalprobe habe man auf das HD-Bildformat umgerüstet. „Gestochen scharf, glasklar“, freut sich der Organisator.
Von einem Podest in der Mitte der Halle aus haben Volker Grundmann und seine Männer Licht, Bild und Ton jederzeit im Griff.
Zum stummen Tagesschaubild dröhnen Mickie Krause Hits, die Halle füllt sich zusehends. Vor allem junge Frauen beweisen erhebliche Originalität in Sachen kreativer Farbgestaltung Schwarz-Rot-Gold: Hawaiiketten, Perücken, die schon zum Standard gehörende Wangenschminke, aber auch Häschenohren, Schals, Fahnen und alle Arten von Hüten sind vorher sorgfältig modisch drapiert worden.
Dann endlich – 20:45. Anstoß. Der Sound der Zuschauer aus Lemberg mischt sich mit der insgesamt doch eher verhaltenen Unterstützung der Hamelner Fans. Spiel und Stimmung scheinen sich aufeinander einzupegeln, bleiben beide erst einmal defensiv und abwartend. Nur gelegentliche Aufreger wie die gelben Karten für Postiga (12. Min.) oder Badstuber (42. Min.) bringen etwas Lautstärke in die Halle. Unermüdlich sind Sascha Hartmann und seine Frau Judith von Rot-Weiß Hemeringen mit der Riesenpauke oben unterm Dach bemüht, ein „Deutschland-Deutschland“-Stakkato in die Halle zu hämmern.
„Na, geht insgesamt eigentlich schon“, meint auch das Jungmänner-Quartett Daniel, Eric, Kilian und Christian zu Spiel und Stimmung. Die 16- und 17-jährigen Hamelner haben ihre Fahnen nur bei der Hymne entrollt und genießen das Spiel fast wortlos von ihrem Sitzplatz aus.
Auch das Team um Rettungssanitäterin Silke Walter vom DRK-Kreisverband muss an diesem Abend kaum in Aktion treten. Lediglich einige Mägen können den Gerstensaft nicht bei sich behalten. Routine für Tobias Lamsat und Sina Fricke mit ihren großen roten Notfallkoffern.
„Wir machen das alles ohne Eintritt, das ist eine Marketingmaßnahme“, erklärt derweil Meinecke. Die Kosten lägen im vierstelligen Bereich, weil Gema, aber auch die UEFA bei Übertragungen auf Leinwänden, die größer als drei Quadratmeter seien, ordentlich zulangten.
Mario Gomez´ Siegtreffer in der 72. Minute entfacht zwar anhaltenden Jubel, doch von Dramatik ist auch bis zum Spielende nicht viel zu spüren. Entspannte Feierlaune ja, überschwappende Stimmung nein. Nach dem Abpfiff leert sich leert sich die Halle innerhalb weniger Minuten, Schützenfest und Hamelner Altstadtkneipen warten bereits. Die Polizei zählt 200 Fahrzeuge beim Auto-Cruising auf der Deisterstraße, die noch bis Mitternacht gesperrt bleibt. Ansonsten alles friedlich, teilt der Polizeisprecher am Sonntagmorgen mit. Und die vier Freunde auf der Tribüne bringen Abend und Spiel auf den Punkt: „Na ja, war schon eigentlich ganz ok so.“