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Krimis und Knast, Küche und Kliniken

Krimis und Knast, Küche und Kliniken

Montag, 16. Juli 2012

„So viel Spannung wie der hätte ich auch gerne in meinem Berufsalltag. Aber mein Job ist viel unspektakulärer“, erklärt die Rechtsanwältin Beate Wöllenstein. Für die Münderaner „Feld-, Wald- und Wissen-Anwältin“ haben TV-Serien wie „Lenßen & Partner“ nur blanken Unterhaltungswert. „Ich kenne keinen Kollegen, der ein eigenes Ermittlerteam beschäftigt, so was überlassen wir Polizei und Staatsanwaltschaft“, stellt die Anwältin klar. Die Erfolgsserie um den forschen Advokaten mit der außergewöhnlichen Bartfrisur biete dem Zuschauer ein „rundum verfälschtes Bild“ vom Anwaltsberuf. Wöllenstein vermutet: „Vielleicht ist die Wirklichkeit stundenlanger Schreibtischarbeit ja auch fürs Fernsehen einfach zu langweilig.“

Etwas besser schneidet da im Urteil Wöllensteins und ihrer Kollegen schon der Klassiker des Genres, das alltägliche Schnellgericht der rothaarigen „Richterin Barbara Salesch“ ab. Wenngleich deren Aufdeckung und Aburteilung von Mordfällen im Stundentakt „absolut realitätsfern“ sei, so seien Teile der Arbeit von Verteidigern und Anwälten dort zumindest näherungsweise an der Realität ausgerichtet. Beate Wöllenstein hat beobachtet, dass „im richtigen Leben  Zuschauer und Zeugen manchmal die bei Salesch oder Richter Alexander Holt  gezeigten Verhaltensweisen übernehmen, weil sie meinen, das sei vor Gericht so üblich. Da wird mitunter gepöbelt und  gedroht wie auf dem Bildschirm.“

Einen Blick hinter die Kulissen konnte vor einige Jahren die Hamelner Janine Herrmann als Mitwirkende einer Salesch-Gerichtsshow machen. Sie erinnert sich: „Es gibt eine Art Drehbuch, alles wird vorher geprobt, und bestimmte Sätze müssen fallen, damit sich die Geschichte weiter entwickelt. Hat jemand mal seinen Text vergessen, dann können die Kernsätze auch schon mal vom Richter, einem Staatsanwalt oder einer anderen Person kommen.“ Gedreht werde nämlich in der Regel „an einem Stück“. Bei der Psychologin „Kalwass“ dagegen, so Janine Herrmann,  werde „stärker nach einem roten Faden gearbeitet.

Janine Herrmann ist sich sicher: „Natürlich ist einiges übertreiben, um den Unterhaltungswert zu steigern. Aber ein Star kann man mit so was nicht werden!“

Als „weitab von jeder Berufsrealität“ schätzt auch der Hamelner Polizeisprecher Jörn Schedlitzki die zahllosen „Blaulicht-Serien“ ein, die sich seit Jahren vor allem bei den Privaten großer Beliebtheit erfreuen. Selbst scheinbar sehr wirklichkeitsnahe Doku-Soap-Formate wie das der beiden Bochumer Kult-Cops „Toto und Harry auf Streife“ zeigten „immer nur einen kleinen, ausgewählten und dadurch inszenierten Ausschnitt aus dem Polizeialltag.“ Ohnehin  außer Frage in Sachen Realitätsgehalt stünden traditionelle Serien wie „Tatort“, die zwar einzelne Elemente polizeilicher Arbeit präsentierten, aber vor allem „die Langwierigkeit mancher  Ermittlungsmaßnahmen“ nur unzureichend darstellten. Schedlitzki: „Das Tempo, das die vorlegen, ist reine Fiktion.“ Und auch von Ermittler-High-Techn à la CIS können der Hamelner Polizeibeamte und seine Kolleginnen und Kollegen nur träumen. „Fingerabdruck-Hologramme? Fernab jeder Realität“. Wer sich bei seiner Berufsorientierung auf das dort Gezeigte verlasse, der sei „mächtig auf dem falschen Dampfer.“

„Blaulichtserien und Realität verhalten sich wie Deutschland und Sommer“, bringt es der Kriminalschriftsteller Günter von Lonski auf den Punkt. Der Autor einiger Weserbergland-Krimis nützt TV-Serien wie etwa die „Tatorte“ aus Münster und Köln gerne als Anregung. Seine berühmte Kollegin Susanne Mischke dagegen absolviert eigens Praktika bei verschiedenen Polizeieinrichtungen, um den Dienst der Ordnungshüter  so realistisch wie möglich wiederzugeben.

„Serien sind schon zu meiner Jugend Alltag gewesen. Von ´Bonanza´ bis zu heutigen Vorabendserien“, meint Grundschulleiter Christoph Schieb. Natürlich beeinflusse das Gesehene Eltern und Kinder sehr stark, daher sei „Medienkompetenz“ dringend notwendig. „Uns Lehrern selbst fehlt jedoch einfach die Zeit, das alles anzuschauen und vor allem beim Nachmittags- und Abendprogramm auf dem Laufenden zu bleiben.“

Auf „Britt am Mittag“, Saleschs und Holts Urteile, Reißer wie „Privatdetektive im Einsatz“, Wohngemeinschafts- und Beziehungs-Dokus wie „Berlin bei Tag und Nacht“ oder den alles verhökernde „Trödeltrupp“ muss auch Silke Weidner notgedrungen verzichten. Sie ist Küchenchefin bei der Berufsgenossenschaft am Deisterhang in Bad Münder. „´Küchenschlacht´ und ´Topfgeldjäger´ sind bloße Unterhaltung. Das hat mit dem Beruf gar nichts zu tun“, erklärt die Chefköchin. „Interessanter und empfehlenswert ist da schon der Restaurant-Tester Rach, der jungen Leuten zeigt, was es heißt, diszipliniert zu arbeiten.“ Doch gerade der ist vor einiger Zeit aus dem Programm gekippt worden und durch neue, quotenträchtige „scripted-reality“-Formate verdrängt worden. Die zumeist im Abspann im Kleingedruckten genannten Produktionsfirmen wie „Good Times“ oder „Filmpool“  beschäftigen Scharen von Schreibern, die – mitunter gezielt in sozialen Brennpunkten auf der Straße „gecasteten“ – Laien“schauspielern“ Texte in den Mund legen. Dass die so kostengünstig abgedrehten Pseudo-Dokumentarfilme sich steigender Beliebtheit erfreuen, beweisen die zu den Filmchen gehörenden Facebook-Foren. „Erschreckend wie viele das für bare Münze nehmen, weil die Grenze zwischen Sein und Schein für Unerfahrene kaum zu sehen ist“, meint Christoph Schieb.

„Da lob ich mir doch die gute alte kitschige Schwarzwaldklinik“, stellt Günter von Lonskis Ehefrau Anne fest. „Oder den ´Dr. House, weil der bewusst weit von der Realität weg ist.“ Anne von Lonski, die in einer großen Klinik arbeitet, weiß ebenso wie Landarzt Dr. Tibor Meschede aus Bakede, dass in den Arzt-Serien immer noch „die Vorstellung der Götter in Weiß“ rumgeistert. „Da geht´s  weniger um Gesundheitsaufklärung als um Beziehungskisten, Intrigen, und auch das Klischee von der Krankenschwester und dem Chefarzt wird hinreichend bedient.“ Pure Unterhaltung also, was auch völlig legitim sei. Ein Vormittag in der Sprechstunde seiner Landarzt-Praxis, ist sich Tibor Meschede sicher, würde die Zuschauer dann doch eher ernüchtern als unterhalten.

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