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Apokalypse auf Nachmittag verschoben

Apokalypse auf Nachmittag verschoben

Sonntag, 07. Oktober 2012

Er ist ein Phänomen, lässt sein Gesicht weder fotografieren noch filmen, treibt mit den Medien ein Katz-und-Maus-Spiel und umgibt sich mit der Aura des Unsichtbaren. Der Kölner Künstler „PeterLicht“, Verfasser des 2007 beim renommierten Klagenfurther Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs mit dem Publikumspreis bedachten Monologs „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des Dritten Jahrtausends“, blieb auch im Egestorfer „Schaafstall“ unsichtbar weil abwesend, doch sein Text begeisterte.

Der junge Regisseur Jakob Weiss vom Staatstheater Hannover hat aus PeterLichts Monolog ein Zwei-Personen-Stück gemacht, einen tiefgründig, tragischen, von Absurditäten durchdrungenen gleichwohl urkomischen Sofa-Dialog. Alles ist gut, Lebens-, Finanz- und Gemütslage – alles im grünen Bereich, doch Vorsicht, dem Sofa fehlt ein Bein. Eine Kleinigkeit, mag sein. Aber eben daran entzündet sich ein zum endzeitlichen Untergangsszenario steigerndes Spiel. Bei dem bleibt bei allem fantastischen Wortwitz dem Zuschauer das Lachen dermaßen im Halse stecken, dass es wiederum fast schon eine wahre Lust ist. „Es macht mich glücklich“, gesteht der junge Dominik Maringer, Jahrgang 78, der in der Rolle des Jüngeren brillierte, „PeterLicht trifft den Nerv der Zeit, meiner Generation, wir im Westen machen ja vieles, von dem wir wissen, dass es nicht gut ist, nicht gut gehen kann. Doch wir relativieren alles. Es geht uns gut, noch, denn die Apokalypse ist aufgeschoben. Auf den späten Nachmittag, vielleicht.“ Seinen Gegenpart spielt Wolf List, Jahrgang 1955.  Er ist der Bremser und Bedenkenträger, der ständig die überschäumenden Euphorien seines jungen Partners nach unten relativiert. Mit einem einschränkenden „eigentlich“, ja, eigentlich ist alles gut, aber.

Der Dialog steigert sich zum infernalischen Vernichtungs- und Horrorszenario, das an nukleare Vernichtung denken lässt, doch am Ende sind wir noch einmal davongekommen. Vorerst. Mit einem „alles ist gut, gut, guuut“ kehrt der Dialog an seinen Ausgangspunkt zurück. Schwein gehabt,  aber  das Inferno lauert immer noch. Alles nur aufgeschoben.

„Ob jung oder alt, egal, vielleicht ist es auch nur eine, in sich gespaltene Person, in jedem Fall ein faszinierender Text“, meinte auch „Schaafstall“-Gast Felix von Manteuffel, der zusammen mit seiner Frau Leslie Malton eigens zur Aufführung angereist war.

Mit minimalen Mittel dennoch sehr effektvoll hatte Helmut Wenzel, der Geschäftsführer des Kunstvereins Göttingen, den knapp bemessenen Raum des „Schaafstalls“ in eine Bühne verwandelt. Im Mittelpunkt ein himmelblau-rosafarbenes, schief stehendes Sofa. Das war eine herrliche Theaterstunde lang Ort von Versuchen der Selbstreflektion, Selbsttäuschungen, schleichender Ernüchterung und entlarvenden Verdrängungsversuche, eben jener absurd-komischen „Einschätzung am Anfang des Dritten Jahrtausends“.

Mit diesem Theaterhighlight endet die diesjährige Saison im „Schaafstall“. Der wird sich im kommenden Jahr zwar mit unverändertem Qualitätsanspruch doch in neuem organisatorischen Gewand präsentieren. Ein Verein soll dann auch weiterhin die Rahmenbedingungen für das hohe Niveau garantieren, von dem sich die Besucher auch diesmal beim ausgeverkauften Zwei-Personen-Spektakel um ein Wolkensofa wieder überzeugen konnten.

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