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Wolfgang Schorlaus „Die letzte Flucht“

Wolfgang Schorlaus „Die letzte Flucht“

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Natürlich stehe er in der Tradition der Politkrimis von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, erklärt Bestseller-Autor Wolfgang Schorlau. „Aber ich drehe die Schraube noch etwas weiter“. Was Schorlau auf die Spiegel-Bestsellerliste und an die Spitze der deutschen Kriminalschriftsteller gebracht hat, ist die meisterhafte Kombination von aktuellen, politisch brisanten Themen und deren literarisch überzeugende Einbettung in traditionelle Versatzstücke des Genres.

Nein, trotz der Komplexität und Brisanz des Themas wäre ein Sachbuch nicht die bessere Form gewesen, stellt der Autor klar, „ich bin Geschichtenerzähler, das ist mein Beruf.“

In „Die letzte Flucht“ schickt Schorlau seinen Helden – er zieht dieses etwas aus der Mode geratene Wort dem heute üblichen ´Ermittler´ vor – ins Dickicht des Gesundheitswesens. Und der Leser kapiert sehr schnell, dass das zwischen Kostendämpfung und Pflegenotstand ziemlich kränkelt. Der Grund sind die Pharmakonzerne. „Die haben nur eine Stelle im System im Visier, jenen Moment, in dem der Arzt das Medikament verschreibt“, teilt Schorlau dem fasziniert lauschenden Publikum im Wilhelm-Gefeller-Bildungszentrum mit.

Das Gesundheitswesen, das sei „wichtig für uns alle, monatlich zahlen wir viel Geld dafür, doch wie es im Innersten funktioniert, davon haben wir keine Ahnung.“

Schorlaus Recherchen haben Beängstigendes ergeben: unglaubliche Renditen, clevere Manipulationen in rechtlichen Grauzonen, Geschenke und Bestechungen von Ärzten bis hin zu ausgefuchsten Marketingstrategien wie der verdeckten Gründung neuer und der Unterwanderung bestehender „Selbsthilfegruppen“. Schorlau schwankt zwischen Abscheu und Bewunderung der Verantwortlichen. „Pharmamanager sind Zyniker ja, aber auch alles kluge Leute, die genau wissen, was sie tun, und dass das auch mal zu Ende gehen wird. Aber wer nicht mitmacht, ist draußen. Und es geht um verdammt viel Geld.“

Doch der Autor überfällt sein Publikum nicht direkt mit seinen Pharma-Enthüllungen, sondern nähert sich den harten Fakten im charmant-witzigen Plauderton mit einer ausgiebigen Schilderung der Entstehung seiner Charaktere. Da ist die Hauptfigur, Georg Dengler, Ex-BKA-Beamter, jetzt als freier Ermittler unterwegs, dann der Horoskopschreiber Martin Klein und der kahlköpfige Kellner Mario.  „Zu viele Nebenfiguren für den letzten Roman“, stöhnt Schorlau, doch sein Versuch eines „Massakers unter den Nebenfiguren“ scheiterte am Einspruch der Frau eines der Betroffenen. Lacher. Und auch Schorlaus Bericht über die Recherche im Domina-Studio, in dem sich Dengler verstecken muss, erheitert, deckt aber zugleich das Wesen dieses Milieus auf.

Eben diese gelungene Verknüpfung von Spannung und Aufklärung kommt nicht nur bei Schorlau-Fan Sabine Süpke, der Leiterin des IG BCE-Schulungszentrums, sehr gut an. „Hier wird auf unterhaltsame Art ein Fenster auf wichtige politische Themen geöffnet.“

Schorlaus Text packt die Zuhörer, weil hier nichts aufgestülpt, auf Effekt gedrillt oder konstruiert ist. Der Autor erweckt seine Figuren zum Leben, redet von ihnen wie von guten Freunden, und eben das zieht die Zuhörer allmählich hinein in die furchterregend Welt der dunklen Machenschaften des für den Beitragszahler völlig unübersichtlichen und unverständlichen Molochs Gesundheitswesen. Den nächsten Arztbesuch werden viele der Zuhörer nach dieser Lesung und der Lektüre von Wolfgang Schorlaus „Die letzte Flucht“ daher wohl mit etwas anderen Augen sehen.

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