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Theaterpublikum wird zu Geschworenen

Theaterpublikum wird zu Geschworenen

Montag, 08. April 2013

„Wir können uns noch gut an den Film mit der Dietrich erinnern“, erzählt ein älteres Ehepaar. „Damals in den Kammerlichtspielen, das muss so Ende der 50er gewesen sein. Krimi im Kuschelkino.“ Agatha Christies „Zeugin der Anklage“, uraufgeführt 1953 in London, 1958 von Billy Wilder mit Marlene Dietrich, Charles Laughton und Tyrone Power in den Hauptrollen verfilmt, ist nicht nur ein Klassiker des Genres, sondern wie Christies berühmte „Mausefalle“ ein Dauerbrenner. Das von Wolfgang Rumpf für das Berliner Kriminaltheater inszeniert zweieinhalb-Stunden-Stück läuft bereits seit März 2005 und garantiert volle Häuser und volle Kassen.

Die Handlung entwickelt sich langsam aber stetig. In der in sanftes, braunes Licht getauchten  Anwaltswohnung von Sir Wilfrid Roberts wird der Fall ohne jede Eile sehr behutsam aufgerollt. Für heitere Momente sorgt Sir Wilfrids Fußbad, das ebenfalls gänzlich ohne Hast zelebriert wird. Begleitet vom gescheiterten Griff nach Zigarren und Whiskyflasche als „running gag“ schält sich allmählich die die Spannung des Stückes tragenden Kernfrage heraus: ist der sympathische, leicht durchgedrehte Leonard Vole (André Zimmermann) ein Mörder?

Eher nein, meint das Publikum, das sich ganz auf die Seite des Anwaltes stellt. Der hat mit dem Hünen Ulrich Voß nahezu an Charles Laughton heranreichende Qualitäten. Seine langsame Logik beeindruckt, überfordert den Zuschauer zu keinem Zeitpunkt, setzt gekonnt einen Kontrast zum mitunter  recht quirligen Thomas Linke als Staatsanwalt Mr. Myers. Und dann ist da noch sie. Die Zeugin der Anklage. Gundula Piepenbring lässt Gott sei Dank so gar nicht an die vamphafte Marlene Dietrich denken, sondern gibt der Rolle eine eigene Kontur, setzt den vermeintliche Racheengel in blutrot-schwarzem Kostüm überaus eindrucksvoll in Szene.

Für den komischen Kontrapunkt sorgt Christian A. Hoelzke gleich in drei Rollen: als  nüchterner Anwalt im grauen Anzug, als flippiger Gerichtsmediziner und als überpenibler, leicht verstörter Labortechniker.

Im zweiten und dritten Akt vollzieht sich dann ein zwar  verzwicktes, doch jederzeit überschaubares  „Courthouse-Drama“, in dem die Zuschauer zu Geschworenen werden – und sich mit Sir Wilfrid aufs Glatteis führen lassen. Am Schluss wird dann doch noch gerichtet und eine Leiche liegt auf der Bühne. „Ich übernehme die Verteidigung“ ruft Sir Wilfrid und der Abend endet mit einem Lacher.

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