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Hören um zu verstehen – Tag des Hörens 2013

Hören um zu verstehen – Tag des Hörens 2013

Montag, 13. Mai 2013

„Hört zu, damit ihr versteht!“ pflegte unser alter Deutschlehrer uns zu ermahnen. Der Kunstlehrer dagegen hielt´s eher mit einem „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Was uns Schüler zur spöttischen Bemerkung veranlasste: „Schlecht sehen kann ich gut, aber gut hören kann ich schlecht.“

Bild: Agnieszka Maksymowicz mit einer Hightech-Hörhilfe für Kinder

Längst ist der jugendliche Übermut dahin, fallen im Laufe der Jahre Hören und Sehen immer schwerer. Doch während bei schwindender Sehschärfe eine Brille selbstverständlich ist, steht eine Hörhilfe vielfach immer noch im Ruf nur etwas für Oma und Opa zu sein.

Dem will der Bundesverband der Hörgeräte-Industrie gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und zahlreichen Verbänden Abhilfe schaffen. Zum dritten Mal findet daher am 14. Mai der „Tag des Hörens“ statt. Bundesweit soll mit zahlreichen Aktionen aufgezeigt werden, wie wichtig das Thema Hören in unserem Alltag ist.

Unser Gehör verbindet uns mit der Umwelt, ermöglicht den Kontakt zu Freunden und Familie, lotst uns sicher durch den Straßenverkehr, kündigt Gefahren an, lässt uns zugeflüsterten Geheimnissen lauschen, Weinen oder Jubelschreie vernehmen. Hören ist eine Selbstverständlichkeit, die uns erst bei einer Beeinträchtigung oder gar einem völligen Verlust erst richtig bewusst wird.

Bundesweit fällt uns das Hören dabei offensichtlich immer schwerer. Statistische Untersuchungen zeigen, dass mittlerweile jeder fünfte Bürger Probleme hat, sein Gegenüber akustisch zu verstehen, weil der andere vermeintlich nuschelt, undeutlich spricht oder seine Worte einfach in den Umgebungsgeräuschen unterzugehen scheinen. Die Schwächung des Hörsinns ist für viele Menschen vor allem ein Zeichen fürs Älterwerden. Nachlassendes Hörvermögen ist jedoch kein Altersschicksal, sondern die Konsequenz aller Schädigungen, die unser Gehör im Laufe des Lebens erfahren hat. Der Weg in eine drohende Schwerhörigkeit ist in der Regel schleichend, wird allzu oft nicht bemerkt und zu gerne ignoriert.

Die Mediziner erklären uns, dass das Ohr aus drei Großteilen besteht: Außen-, Mittel- und Innenohr. Das Außenohr fängt den Schall auf, der dann im als Resonator fungierenden Gehörgang ums Zwei- bis Dreifache verstärkt zu Trommelfell und Mittelohr gelangt. Die Gehörknöchelchen mit den für ihre Winzig- und Zerbrechlichkeit ganz untypischen Bezeichnungen Hammer, Amboß und Steigbügel dämpfen die Schwingungen bei einer Kräftesteigerung von 1:20 und leiten sie weiter ins Innenohr zur Schnecke (Cochlea), dem eigentlichen Gehörorgan, das dort zusammen mit den drei Bogengängen des Gleichgewichtssinns seinen Platz hat. Im Schneckengang liegen die für das gute Hören so wichtigen etwa 35000 Haarzellgruppen, die Sinneszellen des Cortischen Organs.

Der normale Hörbereich, der zwischen 16 und 20000 Hertz (Hz) liegt, nimmt im Alter stark ab. Die Tonhöhenunterscheidung, so der Akustiker, gelingt zwischen 1000 und 3000 Hz am besten, hinsichtlich der Lautstärke kann das menschliche Ohr etwa 325 Stufen unterscheiden. Schädlichkeitsgrenzen sind bei kurzer Belastung bei 90, bei Dauerbelastung bei 75 Phon festgesetzt; die Schmerzschwelle liegt bei 130 bis 140 Phon.

Rund 30000 Nervenfasern übertragen durch elektrische Impulse mit bis zu 900 Hz pro Faser 1500 Tonhöhenunterschiede und 325 Stärkestufen, also bis zu 340000 Werte über den Hörnerv zu Gehirn.

Dieses Wunder des Hörens ist angesichts der allgegenwärtigen Geräuschkulisse der modernen Industriegesellschaft für Störungen sehr anfällig.

„Leider wachsen zerstörte Sinneszellen im Cortischen Organ nicht nach“, so Agnieszka Maksymowicz. Die 33-jährige, aus Polen stammende Hörgeräteakustikerin arbeitet für die Korallus GmbH, ein mittelständisches Unternehmen, das sich vor allem in der Region Hannover und im Landkreis Hameln-Pyrmont betätigt.

„Von Schwerhörigkeit sind nicht nur Ältere betroffen, auch immer mehr jüngere Menschen können schlechter hören“, weiß Maksymowicz. Die Gründe seien vielfältig: Umweltschadstoffe, Medikamente, Stress und Krankheitserreger. „Je länger wir leben, desto mehr sind wir diesen Belastungen ausgesetzt.“

Sie selbst gehe beispielsweise nur mit Gehörschutz in eine Disko, so Maksymowicz. „Den gibt es auch schon mit Filtern, so dass man sich trotzdem gut unterhalten kann. In einer richtig lauten duff-duff-duff-Disko sollte man sein Gehör schon schützen.“

Wenn das Hörvermögen abnimmt, ist unbedingt der  Weg zum Arzt oder Hörgeräteakustiker anzuraten, denn Wissenschaft und Industrie halten heutzutage Hightech-Produkte bereit, die mit dem klobigen, batteriebetriebenen Taschenhörgeräten in Zigarettenschachtelgröße mit Knopf im Ohr von früher nicht das Geringste mehr zu tun haben.

Agnieszka Maksymowicz: „Es gibt verschiedene Bauformen von Hörhilfen, die Hinter-dem Ohr-Geräte, die mit Hilfe eines Schallschlauches und eines Ohrstückes als Verbindungsstück den Schall ans Trommelfell leiten. Und die Im-Ohr-Geräte, die von außen weitgehend unsichtbar im Gehörgang vor dem Trommelfall platziert werden. Die neuste Entwicklung sind sogenannte ´Ex-Hörer-Geräte´, die technische Vorteile beider Variante vereinen.“

Moderne Hörgeräte bilden das akustische Geschehen fast realitätsnah ab, und programmieren sich je nach akustischer Situation  in bis zu vier Stufen selber.

Maksymowicz: „Ein modernes Hörgerät sollte man den ganzen Tag tragen, und nicht nur bei besonderen Anlässen. Das ist wie mit einem Paar guter Schuhe, die drücken anfangs, man muss sie einlaufen, dann hat man auch große Freude daran.“

Wie alle Hörgeräteakustiker führt auch Agnieszka Maksymowicz Hörtests durch: „Dabei wird zuerst die Hörschwelle ermittelt d.h. der Punkt, wo der Mensch den Ton ganz leise wahrnimmt. Die Messung wird in den Frequenzbereich von 0,125 bis 8 kHz durchgeführt. Dann messen wir die Unbehaglichkeitsschwelle. Wir ermitteln den Punkt, wo die Töne als unangenehm wahrgenommen werden. Ein wichtige Messung ist die Sprachaudiometrie. Dabei wird das Sprachverstehen überprüft.“

Zentrales Kompetenzzentrum für Forschung, Behandlung und Therapie von HNO-Erkrankungen ist die vom Hörforscher Prof. Dr. Thomas Lenarz geleitete HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule (MHH) in Hannover. „Ich bin sehr beeindruckt von diesem Juwel“, so Kanzlerin Angela Merkel, mit der im Februar zum ersten Mal ein deutscher Regierungschef die MHH besuchte.

Neben bahnbrechenden Entwicklungen wie der Cochlea-Innenohrprothese, die gehörlosen Kindern das Hören ermöglicht, wird am Hörzentrum der MHH auch zum Thema „Tinnitus“ geforscht, jener Hörstörung unter der rund drei Millionen Deutsche leiden. Jeder Tinnitus ist dabei anders, sowohl hinsichtlich des Auftretens, der Dauer und des jeweiligen Geräuschs. Während manche Patienten unter einem hohen Dauerton leiden, nehmen andere ein Summen oder Zischen wahr. Auch die Intensität der Beeinträchtigung schwankt, ist mal so stark, dass Schlafstörungen; Kopfschmerzen und Depressionen die Folge sind, mal beeinträchtigt Tinnitus die Lebensqualität kaum. Die vermuteten Ursachen reichen von punktuellen Schädigungsereignissen wie Feuerwerksexplosionen bis hin zu Verkalkungen, den Folgen von Bluthochdruck, psychischem Stress oder Nebenwirkungen von Medikamenten.

Geräusche begleiten uns tagtäglich. Und wer nachts um halb drei mal aus dem Fenster in die nächtliche Stille lauscht, wird ganz andere vernehmen als zur Mittagszeit in einer Großstadt. Lärmemissionen sind längst als Gesundheitsgefahr erkannt, Lärmschutz ein Gebot der Vernunft. Das aber ist nur die Spitze des Eisbergs, denn die akustische Umweltverschmutzung lauert überall, verlockt uns zu mehr Einkäufen im Supermarkt oder rettet uns per Dauerbeschallung vor der Vereinsamung. „Ach ich hab´ ja meinen Fernseher“, so meine Nachbarin, eine alleinstehende ältere Dame. Vielleicht sollten wir uns ab und an mehr Stille und Zeit zum Zuhören gönnen, um besser hören und verstehen zu können. Irgendwie hatte mein alter Deutschlehrer doch recht.

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