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„Enoch Arden“ im „Schaafstall“

„Enoch Arden“ im „Schaafstall“

Sonntag, 09. Juni 2013

Gutes Theaterspiel kann die Seele berühren. Die emotionale Wirkung jedoch, die eine schicksalsschwere Ballade, eine beeindruckende schauspielerische Leistung und eine Musik, die viel mehr als nur Kommentierung des dramatischen Geschehen ist, entfachen kann, die hatten selbst Theaterkundige bei der Aufführung im Egestorfer „Schaafstall“ nicht vermutet.

Bild: Anrührendes Spiel – Alexandre Pelichet und Annette Wunsch

„Enoch Arden“, so heißt die von der Literaturwissenschaft als eher nachrangig eingestufte, 1864 entstandene romantische Ballade des englischen Dichteres Lord Alfred Tennyson, die der 33-jährige Richard Strauß 1897 zu einem Melodram verarbeitete.

Tennysons Versepos um das Schicksal eines Seemannes, der erst nach jahrelanger Robinsonade zu Frau und Kindern zurückkehren kann, die Kinder fast erwachsen und die geliebte Frau an der Seite eines neuen Mannes findet, und der in typisch romantischer Manier die Liebe über alles setzend seinem Glück entsagt, war seinerzeit ein enormer Publikumserfolg.

Doch schon nach dem Ersten Weltkrieg geriet der in zahllosen Übersetzungen verbreitete und 1915 als Vorlage eines der ersten Stummfilme dienende Stoff schnell in Vergessenheit.

Im „Schaafstall“ haben die nicht nur aus etlichen Tatort-Produktionen, sondern auch als Olivia in „Was ihr wollt“ bekannte Schweizer Schauspielerin Annette Wunsch und der aus Zürich stammende freischaffende Schauspieler Alexandre Pelichet zusammen mit der russischen Pianistin Polina Lubchanskaya Tennysons Ballade in der von Richard Strauß vertonten Melodram-Fassung auf die Bühne gebracht.

Auf der nur wenige Quadratmeter großen Spielfläche bewegt sich das Spiel beider um zwei historische Kistchen – „1823“ verrät die Aufschrift auf einer – die Wein und hölzerne Wiegen bergen. Die beiden Akteure beziehen das Publikum ein, schenken zur Hochzeitsfeier Wein aus, und der Schiffbrüchige sinniert auf einem der großen Holzbalken  über den Köpfen der Zuschauer über sein trauriges Schicksal.

„Die Wirkung der Musik berührt stellenweise auch einen Schauspieler sehr, so dass man sich sehr konzentrieren muss“, verrät Pelichet, der zusammen mit einer gleichfalls hinreißend spielenden Annette Wunsch die Zuschauer zu Tränen rührte. Eine Meisterleistung wie beide durch ihr Spiel, ihre Textgestaltung und die originelle Inszenierung jeden Anflug von der dem Stoff innewohnenden Gefahr der Verkitschung vermieden. „Die beiden sind ganz bei sich selber, die sind das, die spielen das nicht“, so eine ergriffene Besucherin.

Sicher, da mögen musikalische Zitate von Strauß eingearbeitet gewesen sein, da mag man über streiten, ob das jetzt ein „Hör-Stück mit Musik“, ein „Hör-Film“, gar eine „Hör-Oper“ war. Wen kümmert das? Es bleibt einmal mehr die Erfahrung, dass auch ein vermeintlich nachrangiges literarisches Werk, veredelt durch hohe musikalische Kunst, eine ganz elementare emotionale Kraft entfachen kann. Wozu aber eben auch exzellentes, die Seele berührendes Theaterspiel vonnöten ist.

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