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„Wege durch das Land“ in Fischbeck

„Wege durch das Land“ in Fischbeck

Sonntag, 16. Juni 2013

„Ich glaube nicht an Schicksal. Die Dinge sind fortwährend in Bewegung und beeinflussen sich gegenseitig“, sagt die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck am großen, runden Tisch im Garten des Stifts Fischbeck und blinzelt in den Sonnenuntergang. Der Schauspieler Matthias Brandt nickt zustimmend. Beide lesen an diesem Abend in der restlos ausverkauften Fischbecker Stiftskirche  im Rahmen der Veranstaltung „Wege durch das Land“.

Bild: Äbtissin Uda von der Nahmer (re.) mit Jenny Erpenbeck

„Auch wenn Du keine Träne siehst“, so ist der Abend überschrieben. Das Thema „Schicksal, Abschied, Sterben und Tod“ bildet einen scharfen Kontrast zum idyllischen Ambiente des kleinen Paradiesgärtchens, das Äbtissin Uda von der Nahmer und ihre Kanonissen sorgsam gepflegt haben.

Die mit vielen Preisen  darunter dem Jurypreis des Ingeborg-Bachmann Wettbewerbs 2001 und erst unlängst dem Evangelische Literaturpreis –  ausgezeichnete Jenny Erpenbeck liest aus ihrem 2012 erschienenen Bestseller  „Aller Tage Abend“, in dem sie den Tod eines jungen Mädchens ungeschehen macht, und ihre Figur in immer wieder neue Zeiten und Beziehungen setzt. Vom Wien nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Deutschen  Wiedervereinigung spannt sich der Bogen. „Das ´Was- wäre-wenn´ hat mich interessiert, und die Frage, wie sich Identität definiert“, erklärt die Autorin. Der Tod ziehe gemeinhin „eine Summe“, doch lägen nicht in jedem Charakter viele verschiedene, ganz gegensätzliche  Möglichkeiten? „Ich habe geträumt, dass ich geträumt habe, und auf einmal war es kein Traum mehr“, lässt Erpenbeck ihre Romanfigur bezeichnenderweise sagen.

Es sei eigentlich ein „einziger, lang gezogener, herzzerreißender Schrei“, sagt die Kritik über A. F. Th. van der Heijdens „Requiemroman“ „Tonio“. In ihm verarbeitet der in seiner Heimat zum Literaturstar und Nobelpreiskandidaten avancierte Autor den Unfalltod seines 23-jährigen Sohnes.

„Das wohl extremste Beispiel autobiografischer Literatur, das ich kenne“, kommentiert der Schauspieler Matthias Brandt den Roman. „Ich habe lange nachdenken müssen, ob ich das machen kann.“ Brandt hat sich schließlich an die Rezitation des Textes gewagt. Mit beeindruckendem Erfolg. „Sicher, das ist Handwerk und auch Erfahrung, und wenn im besten Fall noch ein bisschen Lebenserfahrung dazukommt, dann mag das gelingen“, so der renommierte Hörbuchsprecher.

In Vollendung gelungen an diesem vierstündigen Literatur- und Musikabend auch die von einer hinreißenden Dorothee Mields und der Berliner „Lautten Compagney“ lustvoll vorgetragenen, das schicksalhafte Geschehen konterkarierenden „Love Songs“ von Henry Purcell. Mields, eine der führenden Interpretinnen für die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, sang zusammen mit dem von Wolfgang Katschner geleiteten Ensemble den Hauch von Sterben und Tod einfach hinweg.

„Wege durch das Land“, dank einer der Kunst verpflichteten  Seelenverwandtschaft von Äbtissin Uda von der Nahmer und Dr. Brigitte Labs-Ehlert, der Initiatorin der renommierten Reihe, erneut in Fischbeck zu Gast, führte diesmal durch Hölle und Himmel direkt ins Paradies.

 

Bild: Setzte den Kontrapunkt zu Sterben und Tod – Dorothee Mields sang „Love Songs“ von Henry Purcell

 

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