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Die Heilige Nacht bei den Obdachlosen

Die Heilige Nacht bei den Obdachlosen

Freitag, 27. Dezember 2013

WebDRKObSchon kurz nach vier herrscht vor dem DRK-Haus in der Zentralstraße großes Gedränge. Alles möchte hinein zur DRK-Weihnachtsfeier: Ältere, Alleinstehende, aber auch ganze Familien warten in der Schlange vor der Einlasskontrolle. Als Nachweis gilt etwa ein Hartz IV-Bescheid oder die Zulassung zur Hamelner Tafel.„Wir hatten 150 Anmeldungen, und wie´s aussieht, sind die meisten  gekommen“, sagt der erste Vorsitzende des DRK-Ortsvereins, Wolfgang Kaiser. Seit September haben der 67-jährige ehemalige städtische Fachbereichsleiter Planen und Bauen und seine knapp 20 Helferinnen und Helfern den Abend sorgfältig vorbereitet.

Bild: Es gibt nicht Schöneres als zu helfen, meint Yvonne Hoheisel (Mitte)

Vor allem die Bäckereien haben diesmal sehr viel gespendet“, freut sich auch Wilfried Kreutziger. Der ist hauptberuflich Drucker und spielt an diesem Abend als Kaisers „zweiter Mann“ den Weihnachtsmann. Im Keller warten, sorgfältig aufgeschichtet, 165 Geschenktüten auf die Bescherung der Erwachsenen, gleich daneben stehen 35 kleinere bunte Kindertüten. Den ganzen Keller durchzieht der Duft frischer Backwaren. „Für die Festtage haben wir außerdem Lebensmittelpakete gepackt: Nudeln, Fisch, Käse, Wurst“, erklärt Kreutziger.

Oben haben es sich die Gäste an langen, weiß gedeckten Tischen bei Kaffee und Kuchen derweil gemütlich gemacht. Im Hintergrund dudelt Weihnachtsmusik, mischt sich mit dem Gesprächslärm. Die Schar der DRK-Helfer in roten Weihnachtskostümen hastet unermüdlich hin und her. „Da sind heute viele gute Elfen unterwegs“, stellen Inga B. und Silke S. gerührt fest. Die beiden alleinstehenden Freundinnen sind sich sicher: „Hier ist es schön, hier fühlt man sich wieder wie ein Kind.“

Mit großen, neugierigen Kinderaugen verfolgen auch die vierjährige Somaja, der ein Jahr ältere Wasem sowie Juan und Jian das lebhafte Treiben um sich herum. Zusammen mit der etwa 30-jährigen Selma Bag sind die Kinder gerade aus Syrien eingetroffen. „Wir sind syrische Christen“, sagt Selma. „Wir wollten uns das hier beim DRK mal anschauen, was es da gibt und wie das funktioniert.“

Der bärtige Ralf Seltmann und Ursula Tadje am Nebentisch lassen sich unterdessen von Berrit Aster noch einen Kaffee nachschenken. „Bin schon im letzten Jahr hier gewesen“ erzählt der 56-Jährige. Er habe eine unheilbare Krankheit. „Wer weiß, wie oft ich so einen Heiligen Abend noch erleben kann“, sinniert er. Seine Nachbarin fürchtet sich vor allem vor der Einsamkeit. „Ich bin 60, habe keine Familie und große Angst vor dem Alleinsein. Das ist der blanke Horror.“

Peter Giesbrecht sitzt ruhig in einer Ecke und betrachtet gedankenverloren das Geschehen. Erst langsam taut der 41-Jährige auf, beginnt zu erzählen. Er sei Globetrotter, stamme eigentlich aus Sibirien, sei 1990 nach Deutschland gekommen. „Erst lief´s gut, da fielen einem die gebratenen Hühner auf den Teller, dann aber …“ Seit 13 Jahren sucht Giesbrecht nun die Freiheit in aller Welt. Ein hartes Leben. Viel habe er dabei gelernt. Etwa, dass der amerikanische Traum eine Illusion sei. Jetzt besuche er mal wieder seine Eltern, die im Landkreis leben. Sein sehnlichster Wunsch? Ein Führerschein und ein kleines Auto. Und ein gründlicher Gesundheitscheck. „Eigentlich will ich schon zurück ins System, in die Sicherheit“, gesteht der Weltenbummler.

Um 18 Uhr singt die zehnjährige Wilhelm-Raabe-Schülerin Antonia zusammen mit ihrer Oma Cornelia und der 15- jährigen Katja das „Stille Nacht“. Alle singen mit, mehr schlecht als recht, aber darauf kommt´s nicht an. Als dann der  angelieferte Schweinebraten mit Kartoffelklößen und Rotkohl aufgetragen wird, herrscht Weihnachtsstimmung satt. Klaus Nagel von der Emmerthaler Adventgemeinde spricht erbauliche Worte, Pastor Martin Hoffmann steuert unterhaltsame Spiele bei, und die selbst arbeitslose Helferin Yvonne Hoheisel ist sich sicher, dass es nichts Schöneres gibt, als anderen zu helfen.

Ein Abend fernab jeder Konsumweihnacht. Ein Abend, der manches wieder gerade gerückt und ins Lot gebracht hat. Ein Abend, nach dem man in die Nacht hinaustritt mit der tröstlichen Gewissheit, dass es der Heilige Abend ist.

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