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Von der Kunst, blind Schach zu spielen

Von der Kunst, blind Schach zu spielen

Donnerstag, 21. August 2014

WebSchachGert Schulz tastet mit seinen Fingern über das kleine Blinden-Schachbrett und vergewissert sich der aktuellen Position der Figuren. Der 49-jährige Heidelberger mit der großen dunklen Brille ist nahezu blind. Eine Netzhautdegeneration hat den Diplominformatiker frühzeitig zum Rentner werden lassen. Schulz ist einer der Teilnehmer am ersten Wettbewerb zwischen  sehbehinderten und sehenden Schachspielern, das vier Tage lang im Freizeitzentrum „Regenbogen“ stattfindet.

Die Idee stammt von Wilfried Bode, Mitglied des 80 Mitglieder starken Hamelner Schachvereins und seit fünf Jahren Bundestrainer des Deutschen Blinden- und Sehbehinderten Schachbundes (DBSB). In dem sind derzeit bundesweit rund 200 sehbehinderte Schachspieler organisiert. „Wir haben ein A- und ein B-Kader, die mit teils herausragenden Leistungen aufwarten können“, so der 43-jährige freiberufliche Schachtrainer. Ob Blinden-Schacholympiade, Europa- oder Weltmeisterschaften, die DBSB-Spieler sind überall sehr spielstark vertreten. „Wir haben sogar den Vize-Weltmeister gestellt“, berichtet Bode stolz.

Unter der Regie des Hamelner Schachvereins treffen erstmals sehende und sehbehinderte Meister des königlichen Spiel aufeinander.

Ein verkleinertes Steckbrett mit etwas erhöhten und vertieften Feldern hilft blinden und sehbehinderten Spielern, die Stellung zu ertasten. Und auch die Schachuhr ist an die Behinderung der Teilnehmer angepasst. Über einen Kopfhörer kann bei Bedarf die verbleibende Zeit abgefragt werden. „Eine Stunde und dreißig Minuten habt ihr für die ersten 40 Züge“, kündigt Bode den Teilnehmern am viertägigen Wettbewerb an.  Als Bonus gibt es diesmal für jeden Zug 30 zusätzliche Sekunden.

Eigentlich sei man völlig auf Sehen ausgerichtet, so Gert Schulz. Doch mit fortschreitender Verschlechterung des Augenlichts schärften sich andere Sinne. „Man muss suchen, tasten, hören und das Gedächtnis trainieren“, erklärt der Schachspieler. Geräusche lenkten ihn sehr ab, gesteht er. Theoretisch könne man vielleicht sogar ganz ohne Brett spielen. „Dann verlagert sich im Idealfall alles in den Kopf, aber das ist Theorie“, so Schulz.

Der Vorsitzende des Bezirks Südniedersachsen des Deutschen Schachbundes, Manfred Tietze, zeigt sich beeindruckt von den Leistungen der behinderten Schachspieler. „Wir sind in 14 Vereinen mit rund 700 Mitgliedern organisiert“, berichtet er. Wer allerdings welche Behinderung habe, das sei nicht festzustellen. „Ob jemand im Rollstuhl sitzt oder eine andere Behinderung hat, das ist nicht erfasst“, so der Funktionär.

„Konzentration, Geduld und jede Menge Zähigkeit braucht man als stark sehbehinderter Schachspieler“, stellt Olaf Dobierzin klar. Der 63-jährige Leipziger ist von  Geburt an sehbehindert. „Zum grünen kam dann noch ein grauer Star, aber seit der Operation ist es etwas besser geworden“, erzählt er. Schach spiele er seit mehr als 50 Jahren. „Meine Stärken liegen eher im strategischen Spiel, was Endspiele angeht, da müsste ich mehr machen“, verrät er selbstkritisch. Neben Wandern sei Schach sein Lieblingshobby. Mit den Hamelner Ergebnissen sei er „eigentlich ganz zufrieden“. „Einmal verloren, einmal Remis, einmal gewonnen“, fasst er seine bisherige Turnierbilanz zusammen. „Aber mein Gegner hat Revanche gefordert. Na, schau´n wir mal.“

Auch für Gert Schulz hat das Schachspielen einen sehr hohen Stellenwert. „Das verschafft mir soziale Kontakte, und die sind gerade dann sehr wichtig, wenn Dinge wie Fahrradfahren und vieles andere nicht mehr möglich ist. Mit der Zeit muss man ja auf immer mehr verzichten.“ Da sei es gut, wenn man beim Schach vor allem Menschen aus der gleichen Berufsgruppe treffe, so Schulz. Viele Teilnehmer kämen aus EDV-Berufen. Auch auf seine im Schach erreichten Leistungen ist Schulz stolz. „1999 war ich Deutschen Meister im Schnellschach und mit meinem Verein aus Heidelberg mehrfacher Deutscher Mannschaftsmeister“, berichtet er.

Spielen Blinde besser Schach als Sehende? „Sollte man vermuten“, so Bundestrainer Wilfried Bode, „aber das ist nicht so. Nicht sehen zu können, das ist auch beim Schach das denkbar größte Handicap. Die Welt ist auf Sehen ausgerichtet, und der Verlust bzw. die starke Einschränkung des Sehens das Schlimmste, was passieren kann.“ Zwar kann man durch Vorstellungskraft und Fantasie viel kompensieren, aber das stößt auch an Grenzen.“

Und dann wird es wieder sehr still im kleinen Raum im „Regenbogen“. Nur die Spielzüge werden angesagt und auf dem Steckbrett sowie am großen Brett des sehenden Spielers gezogen. Auch Olaf Dobierzin ist wieder hochkonzentriert bei der Sache. Schließlich gilt es, die Revanche des Gegners abzuwehren. Als die Fingerkuppen des Leipzigers übers Brett tasten, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Hat er den entscheidenden Einfalls? Vielleicht, Strategie ist schließlich seine Stärke.

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