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Weihnachtsabend bei den Obdachlosen

Weihnachtsabend bei den Obdachlosen

Sonntag, 28. Dezember 2014

WebObdach„Der Andrang ist unverändert hoch. Schon seit 14 Tagen konnte wir keine Karten mehr ausgeben, denn unsere Kapazität ist fast erschöpft“, sagt Wolfgang Kaiser vom Deutschen Roten Kreuz. Seit 1997 findet am Heiligen Abend beim DRK im Klinkergebäude in der Zentralstraße eine Weihnachtsfeier für Obdachlose und Bedürftige statt.

Schon lange vor 16 Uhr drängen sich bei Regenwetter die Menschen vor dem Eingang. Hinein darf aber nur, wer einen Hartz IV-Bescheid oder die Berechtigung zur Nutzung der Hamelner Tafel vorlegen kann.

Schon kurz nach Öffnung der Türen ist an den langen, weiß gedeckten Tischen kein freier Platz mehr zu ergattern. Knapp 20 in rote Weihnachtsmannkostüme gekleidete, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer schleppen bergeweise Kuchen und Kaffeekannen zu den Gästen. Deren aufgeregtes Stimmengewirr übertönt fast die Weihnachtslieder. Viele wie etwa Ursula sind Stammgäste. Diesmal hat sie sich zu Margit und Carsten gesetzt. „Bin auch jedes Jahr hier“, sagt Margit, „ich bin alleine, ohne Familie, alle tot.“ Auch der 52-jährige Carsten fühlt sich vom Alltagsleben ausgeschlossen. „Die anderen bewegen sich fort, ich kann aber irgendwie nicht mithalten“, beschreibt der Frührentner, den eine Krankheit aus der Bahn geworfen hat, seine Situation. Schnell finden die drei zueinander, geben sich gegenseitig Halt und Trost. „Ich bin mit unser Superkultur sehr unzufrieden, denn seit 20 Jahren habe ich keine Zähne mehr“, klagt Ursula der Bürgermeisterin Sylke Keil ihr Leid. Die ist betroffen.

Loutung trägt eine weiße Schneejacke und ist Vietnamese. Auf Fragen reagiert der 38-Jährige anfangs mit Misstrauen. Dann aber bricht es aus ihm heraus: „Die Leute hier sind nett und haben viel Zärtlichkeit. Oh ja, dieser Abend tut mir sehr gut. Da kann man sich beruhigen , wenn man Schlimmes erfahren hat, kann Enttäuschungen vergessen, mit den anderen Leuten wieder Lebensmut, Kraft schöpfen und neue Ideen finden.“

Die kleine Weihnachtsandacht von Klaus Nagel von der Emmerthaler Adventistengemeinde geht fast unter in den vielen angeregten Gesprächen, und als zum Glockengeläut kurz nach 18 Uhr Bratenduft aus der Küche hereinweht, steigert sich die Vorfreude aufs Weihnachtsessen zusehends.

Der kleine Sehmus ist neun Jahre alt, geht auf eine Hamelner Grundschule, und sitzt mit seinen aus Kurdistan stammenden Eltern abseits ganz am Rande. „Dass die hier extra so viel Geld für uns ausgeben, für den vielen Kuchen und so, das finde ich toll“, sagt der aufgeweckte Junge, der zusammen mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Nefrin zum ersten Mal dabei ist.

Die Oma mit den weißen Locken gegenüber hat den ganzen Abend kein Wort gesagt, nur ernst und traurig vor sich hingeblickt. Welches Schicksal sie wohl trägt? Als Sehmus seine Eltern fragt, ob er am Quiz von Pastor i. R. Martin Hoffmann von der evangelisch-reformierten Gemeinde teilnehmen kann, huscht zum ersten Mal Lächeln über das Gesicht der alten Dame.

Dann endlich wird der Braten aufgetragen. Jemand singt in ein Mikrophon „Stille Nacht“ und „Ihr Kinderlein kommet“, mehr laut als richtig, aber das ist egal. Alleinerziehende Mütter lassen ihre Kinder von Juliane Kaiser schminken, junge Familien, das Baby auf dem Schoß, sitzen nahe am Christbaum und fühlen sich fast wie zuhause.

„Es ist genug für alle da, und jeder von euch kann auch noch was mitnehmen“, versichern Wolfgang Kaiser und Wilfried Kreutziger, der nach dem Essen die Kinder mit Geschenktüten beschert. „Die Hilfe der Hamelner Bäckereien und Sponsoren ist großartig“, freut sich Kaiser. Der eigentliche Flüchtlingsansturm aber komme erst noch. Klar, man werde sich auch dieser Herausforderung stellen. Wieder draußen in Dunkelheit und Regen, spürt man, dass dieser Abend allen gut getan hat, weil man ganz dicht dran war am Kern der Botschaft der Heiligen Nacht.

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