Ein Blick in die Verbotene Stadt
Ein Blick in die Verbotene Stadt
Mittwoch, 01. April 2015
„Da mag man seinen Augen ja nicht trauen. Das ist einfach unfassbar“, sagt eine Zuschauerin in der ersten Reihe, als Liu Yexuan, auf nur einer Hand balancierend, die Gesetze der Schwerkraft scheinbar ad absurdum führt. „Die müsste doch Mordsmuckis haben“, rätselt ihr Begleiter, doch das zwölfjährige Leichtgewicht ist an Zierlichkeit kaum zu überbieten.
Liu Yexuan ist das Nesthäkchen aus der Artistenschule ChangZhi und der Liebling der mehr als 400 Zuschauer, die in der Rattenfängerhalle einen Abend lang einen Blick in „Die verbotene Stadt“ werfen durften. Eingewoben in eine poetische Geschichte vom Leben und der Kunst am Hofe der chinesischen Kaiser, erlebten die Zuschauer atemberaubende Artistik auf Weltniveau. Mit traditionellem europäischen Zirkus haben die Darbietungen nichts zu tun. Statt Clowns, Löwen, Tigern und Elefanten setzt die chinesische Zirkusvariante ganz auf ein varietéhaftes Programm: Jonglage, Tuchakrobatik, menschliche Pyramiden, sensationelle Bodenakrobatik. Statt aufwändiger Technik und Illusion ist alles handgemacht und transparent. So ziehen etwa anstelle eines Elektromotors fünf starke Männer die Tuchakrobaten in die Höhe.
Und statt westlichem Sexappeal verzaubern bunte, trachtenähnliche Kostüme die Zuschauer. Vor allem aber die Körperbeherrschung nimmt den Zuschauern ein ums andere Mal schier den Atem. Xu Xixis Spitzentanz auf den Schultern eines Mannes fasziniert die Menge, und Guo Syan als Schlangenmädchen wirft die Frage auf, ob sie überhaupt eine Wirbelsäule hat. Die gelb gekleidete, anmutige Mädchentruppe um Cheng Yafang und Li Zhilin baut mit sichtlichem Spaß und enormen Körperverbiegungen eine menschliche Pyramide nach der anderen.
Was ist das Geheimnis dieses unerhörten artistischen Zaubers? Talent, Fleiß, Disziplin, Präzision? Sicherlich. „Wer einen Handstand zeigen will, muss schon der Handstand selbst sein“, sagt die die Geschichte erzählende Kinderstimme aus dem Off, und „Mit Gelassenheit kannst Du alles erreichen“. Vielleicht ist es das, was diesen Zirkuszauber der etwas anderen Art so unvergleichlich macht. Dass trotz aller Anstrengung eine freudige Gelassenheit und Muße über allem schwebt, die diese Ausnahmekörper bis an die Grenzen des Möglichen führt. Gelassenheit macht scheinbar Unmögliches möglich. Eine Botschaft, die beim anhaltend applaudierenden Publikum ankam