Trekking – Die Flucht in die reale Welt
Trekking – Die Flucht in die reale Welt
Sonntag, 23. August 2015
„Das Wandern ist des Müllers Lust“ und „Im Frühtau zu Berge wir geh´n fallera“, das war gestern. Heute nennt sich das „Speed-Hiking“, „Trekking“ oder „Outdoor-Travelling“. Das traditionelle „Wir wandern, wir wandern, von einem Ort zum andern“ wird dabei zumeist mit einer Vielzahl von sportlichen Betätigungen kombiniert, von denen das seit einigen Jahren gerade bei älteren Mitbürgern sehr beliebte „Nordic Walking“ noch die harmloseste Variante ist.
„Warum Wandern? Weil´s einfach Spaß macht“, sagen auch August Becker und seine Frau Beatrix. Der 63-Jährige ist sein neun Jahren Vorsitzender der Sektion Hameln des Deutschen Alpenvereins. Die zählt derzeit rund 800 Mitglieder. „Tendenz steigend“, sagt Becker. „Gerade im Jugendbereich haben wir große Zuwächse, ebenso bei den 20- bis 40-Jährigen.“ Dass vor allem für Jugendliche Abenteuer- und Aktivurlaube im Trend liegen, bestätigt auch Beatrix Becker. Klassisches Rucksackwandern spiele im Alpenverein zwar eine weniger wichtige Rolle, dennoch sei für viele Mitglieder gerade die Abwechslung zwischen sportlichen Freizeitaktivitäten wie Radfahren oder Mountainbiking, Skiwandern, Wildwassertouren, Klettern und Mehrtageswanderungen von großem Reiz. „Ob Hochgebirgsklettertour oder quer durch Korsika, Trekking ist einfach eine Top-Freizeitbeschäftigung mit niedrigem Einstiegslevel“, sagt das Ehepaar Becker.
„Outdoor-Reisen liegen derzeit voll im Trend“, bestätigt auch die Hamelner Geschäftsfrau Britta Daniel-Tonn. Seit 2001 betreibt die gelernte Sozial- und Erlebnispädagogin in Springe, Hameln und Herford Läden, in denen sich alles um die neue Form des Wanderns dreht.
„Eigentlich ist ´outdoor´ schon, wenn sie mit dem Hund rausgehen, aber natürlich auch für Jugendliche nach Schulabschluss oder Abi die Rücksacktour durch Europa oder in die USA machen, um die Welt zu entdecken. Das setzt sich dann fort mit den jungen Familien, die am Gardasee auf Tour gehen oder Klettersteige im Gebirge entdecken, und dann im gesetzterem Alter natürlich die großen Touren wie die amerikanischen Nationalparks entdecken.“
Rucksacktourismus bewege sich in Phasen und Wellen, glaubt Daniel-Tonn festgestellt zu haben. „In jeden Fall kann man es schwer auf einen Nenner bringen, denn die Vielfalt der Aktivitäten ist enorm. Das reicht vom Parcourslaufen der urbanen Jugend über das immer beliebter werdende Radfahren und Mountainbiking bis zu Kanutouren auf der Weser.“ Letzter Schrei sei das „Standup Paddeling“. Daniel -Tonn erklärt: „Sie stehen auf einem Surfboard und haben ein langes Paddel in der Hand. Macht wahnsinnig viel Spaß und erfordert sehr viel Fitness und Geschicklichkeit.“
Dass zeitgemäße Bewegungsformen Einzug ins Tourismusgeschäft gefunden haben, bestätigt auch Matthias Rokitte vom Hamelner Altstadtreisebüro. „Es gibt mittlerweile viele Spezialanbieter, die die abenteuerlichsten Angebote vorhalten.“ Es habe sich eine echte Szene herausgebildet, in der man sich gut kenne und oft auch gemeinsam auf Erlebnistouren gehen. Rokitte: „Die Klientel umfasst normale Wandervereinsmitglieder bis zu semi-professionellen Zeltexpeditionen an den Rand der Arktis. Sie können sich auf Wandertouren begeben, bei denen ihnen das Gepäck von Pension zu Pension transportiert wird, sich aber auch bei einer Bergbesteigung bis an den Rand der körperlichen Belastung verausgaben.“
Auch Kurzformen wie das abendliche „Speed-Hiking“ als Alternative zum Fitnessstudio seien im Kommen. „Nach dem Job mal schnell auf Zeit auf den 300 Meter hohen Hausberg“, so Britta Daniel-Tonn.
In jeden Fall sei der Trend zu solchen Reise- und Erlebnisformen auf den immer stärker werdenden Wunsch nach einem Ausbruch aus dem Alltag zu verstehen. Daniel-Tonn vermutet: „Die Leute brauchen gerade in der Großstadt einfach eine Alternative zum Alltagstrott. Ob Kanutour oder Klettergarten, in jedem Fall sind Urlaub und Freizeit heute immer weniger Entspannung und Erholung. Ganz im Gegenteil, es ist die Suche nach einem aktiven Gegenentwurf zum Alltag.“
„Der Gedanke des Ausstiegs auf Zeit ist immer dabei“, bestätigt auch Matthias Rokitte. „Der Ausbruch aus der digitalen, künstlichen, virtuellen Welt und die Rückkehr zum echten physischen Leben, das ist es wohl, was Outdoor-Aktivtäten so interessant macht.“
Rund um die Flucht in die reale Welt hat sich mittlerweile ein Riesenmarkt gebildet. Nicht nur Reiseanbieter versuchen sich mit immer ausgefalleneren Angeboten zu übertrumpfen, auch die Ausrüstungsindustrie bietet mehr als nur festes Schuhwerk, Zelte und Schlafsäcke an. Britta Daniel-Tonn: „Alles wird immer leichter und körpernäher. Atmungsaktive Funktionsbekleidung gehört längst zum Standard.“
Doch wozu in die Ferne schweifen, auch im Weserbergland können Outdoor-Freaks auf ihre Kosten kommen. „Unsere Wanderwege erfreuen sich steigender Beliebtheit“, weiß etwa Thomas Slappa von der Münderaner Gesellschaft für Gesundheit und Tourismus (GeTour). Zwar lägen keine offiziellen Zahlen vor, die den Anstieg der Zahl der Outdoor-Wanderer offiziell belegten, doch zeigten die Rückmeldungen von gastronomischen Betrieben entlang der Wanderrouten, dass der Trend deutlich nach oben weise.
Slappa: „Wir bieten zwei Möglichkeiten an, einmal die klassischen Rundwanderwege von einem Wanderparkplatz aus, in der Regel so um die 10 Kilometer, zum anderen Streckenwanderungen von bis zu drei Tagen Dauer mit zwei Übernachtungen.“
Dass das Angebot „gut beschriebener Wander- und Fernwanderwege in den vergangenen Jahren explosionsartig zugenommen hat“, bestätigt auch August Becker. Dabei ist das Weserbergland nicht nur für Outdoor-Einsteiger ein attraktives Terrain, meint auch Britta Daniel-Tonn: „80 Kilometer auf dem Ith-Hils Wanderweg, das ist schon eine Leistung, und auch der Pilgerweg Loccum-Volkenroda hat es in sich.“ In jeden Fall aber seien Outdoor-Aktivitäten der beste Weg um wieder zu sich zu kommen und innerliche Ruhe und Gelassenheit wiederzufinden. „Eben eine Rückkehr in die echte, die physische Welt.“