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Großer Bahnhof für den Tod

Großer Bahnhof für den Tod

Mittwoch, 25. November 2015

WbHhfNoch steht sie und wankt nicht, die alte Eiche vorm „Haus im Park“ auf dem Hermannshof. Noch trotzt sie, in wildromantisches Scheinwerferlicht getaucht, der Dunkelheit und dem ersten Schneesturm des Winters. Eine Entsprechung findet das surreal anmutende Landschaftsbild drinnen in der heimeligen Geborgenheit des wintersturmumtosten „Hauses im Park“ in einer ganz besonderen Lesung. Auch in der geht es um Zählebigkeit, Durchhalten, ums dem Tode trotzen. „Die Alten sind unsere Zukunft am Südbahnhof oder Wie heißen wir wo wohnen wir welcher Tag ist heute und warum“, so lautet der skurrile Titel des Textes, den Jörg W. Gronius und Bernd Rauschenbach lesen.

Die beiden mehrfach preisgekrönten Literaturwissenschaftler, Autoren, Herausgeber und Dramaturgen, beide Jahrgang 1952, sind seit ihrer „Hermannshofschlacht“ von 1997 alte Hermannshof-Kämpen, von denen auch der rund ums Fries des Haupt- und Gästehauses laufende Spruch stammt.

An diesem Abend nehmen die beiden die Zuhörer mit auf eine absurde Reise ins Alter und zum Wiener Südbahnhof. Szene auf Szene, Akt auf Akt ein an Schrägheiten und Überraschungen strotzender Text mit Versatzstücken, die ebenso surrealistisch wie morbide daherkommen, mit einer oft erstickenden Heiterkeit, die im Nachgang mitunter Schrecken gebiert. Da ist die Frage „Ist heute denn Donnerstag?“ nur vordergründig banal, die Feststellung „Dead Bull verleiht Flügel“ sarkastisch, und der Reim „Wir sind die Pensionisten, bald kommen uns´re Kisten“ einfach nur bitterböse. Was wäre, wenn´s ein staatliches Lebensbegrenzungsgesetz gäbe, mit festem Todesdatum? Würde das die individuelle Lebensplanung nicht immens erleichtern? Zeilen wie „Soll ich mein Sterben denn unter den Scheffel stellen?“ oder „Das Himmelreich ist eine Eierspeise“ sowie die Trauer um verschwundene Sardellenbrote und eine ausrangierte Wiener Tram-Linie fügen sich zu einem erheiternden wie erschreckenden Text zusammen. Das alles ist wahrhaft schrecklich schön!

WebBm„Unsere Texte entstehen immer zusammen, als Improvisation, wir arbeiten immer zu zweit, eigentlich nicht nach festen Regeln“ erklären die beiden hinterher.

Gekonnt verzwirbeln und verwirbeln sie Textidee, erlauben gegenseitig fantasievolle Exkurse, Um- und Irrwege, die sie aber sich immer wieder kunstvoll verschachtelnd zum roten Faden des Tabuthemas „Altwerden“ zurückführen. „Hmm, surrealistisch beschreibt´s wohl am besten“, sagt Bernd Rauschenbach – und nein, mit Arno Schmidt habe das alles nichts zu tun, fügt er als geschäftsführender Vorstand der Arno-Schmidt-Stiftung hinzu. „Dazu ist unser Anteil an Improvisation bei der Texterstellung viel zu groß.“

Und so warten die beiden am Wiener Südbahnhof (auch der ist schon lange durch etwas Neues ersetzt) statt auf Godot auf ihren „großen Bahnhof für den Tod“, so wie die scheinbar ewig lebenden Alten, die den Jungen auf der Tasche liegen, und die nur interessiert, ob denn heute schon Donnerstag ist.

Was für ein herrlich morbider Abend an dessen Ende sich viele Zuhörer im Stil einer bekannten Limonadenwerbung amüsiert und erschreckt zugleich fragten: „Sind wir nicht alle ein bisschen tot?“

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