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Zwischen Schuld und schönem Schein

Zwischen Schuld und schönem Schein

Freitag, 27. November 2015

WebBueckeDer älterer Herr aus Emmerthal regt sich mächtig auf. „Sechzig Jahre hatten wir hier Ruhe, und das soll auch so bleiben. Die Mehrheit der Emmerthaler lehnt ein Dokumentationszentrum ab.“ Eine Feststellung, die an diesem Abend freilich nicht unwidersprochen blieb. Das Interesse war überraschend groß und der Medienraum der DEWEZET in der Osterstraße übervoll. Unter der Überschrift „Ausgrenzung und Erlebnis – NS-Volksgemeinschaft auf dem Bückeberg“ beleuchteten die beiden Historiker Bernhard Gelderblom und Frank Werner die NS-Propaganda-Inszenierung des „Reichserntedankfestes“ auf dem Bückeberg einerseits sowie das Verhältnis der Bevölkerung in Schaumburg zum Nationalsozialismus andererseits.

„Im aktiven Wegschauen hat die Volksgemeinschaft ihre realste Ausformung erreicht“, so DEWEZET-Chefredakteur Frank Werner, der auf der Grundlage eigener Forschungen im Schaumburgischen darstellte, dass etwa massenhafte Denunziationen die Bevölkerung schuldhaft in die Unrechtsherrschaft der Nationalsozialisten verstrickten. Das „Anschwärzen als soziales Ellenbogenverhaltens“, durch eindrucksvolle Quellenzitate belegt, war dabei ebenso konstitutives Element der „Volksgemeinschaft“ wie der Glaube an die Heilsversprechen und das Gefühl von Gemeinschaft und Größe.

Werners Fazit: „Das Geschichtsbild hat sich in dieser Hinsicht verändert. Von der nach dem Krieg akzentuierten Opferrolle einer vermeintlich ausschließlich von oben gelenkten Bevölkerung hin zur aktiven, schuldhaften Verstrickung auch auf regionaler und lokaler Ebene. Von der Verführung durch den totalitären Polizeistaat zur auch von der Bevölkerung getragenen Ausgrenzung der Gemeinschaftsfremden.“

Eingeleitet durch den Kurzfilm „Der Bückeberg. Ein unbequemes Denkmal“ ließ Bernhard Gelderblom Geschichte dieses Ortes Revue passieren. Neben der Maifeier in Berlin und den Nürnberger Reichparteitagen war das sogenannte „Reichserntedankfest“ auf dem Bückeberg die größte regelmäßig stattfindende Massenveranstaltung der Nationalsozialisten.

„Bis zu einer Million Menschen versammelten sich auf dem von Albert Speer in Rekordzeit geschaffenen Gelände“, so Gelderblom. Es war eine von Goebbels als „bäuerliches Volksfest in freier Natur“ initiierte NS-Propaganda Inszenierung des „schönen Scheins“. Gelderblom: „Wer sich darauf einließ und hier in der Masse stand, der war verloren.“

Während sich in Nürnberg die Massenorganisationen der Partei versammelten, hatten die Veranstaltungen auf dem Bückeberg einen deutlich anderen Charakter. „Hier sah sich das Volk selbst und begab sich in den suggestiven Rausch der Volksgemeinschaft zwischen Hingabe und Allmachtsfantasien.“

Über die Szenerie hat die Gemeinde Emmerthal seit den 70er Jahren zwar kein Gras, so doch ein Wäldchen wachsen lassen. Die Gedanken an dieser Stelle ein Dokumentationszentrum einzurichten, in dem die Erinnerung wachgehalten wird, finden vor Ort keine Zustimmung. Um so deutlicher machten die Teilnehmer am Doppelvortrag, dass Erinnerung vor allem im Hinblick auf nachfolgende Generationen dringend vonnöten sei. „Das ist wohl eine Sache, die nicht in erster Linie in Emmerthal entschieden werden sollte“, so Frank Werner. Viele Besucher machten außerdem klar, dass die Befürchtungen, damit werde möglicherweise ein Wallfahrtsort für Rechtsradikale geschaffen, abwegig seien. „Wer so argumentiert, der überlässt denen die Deutungshoheit, und das wäre schlimm.“

Mit den Vorträgen von Bernhard Gelderblom und Frank Werner hat die Diskussion um ein Dokumentationszentrum frischen Wind bekommen.

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