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„Nehms´n Alten“

„Nehms´n Alten“

Mittwoch, 27. Januar 2016

WbZoell1Was wäre er wohl in der heutigen Zeit? YouTuber? Comedian? Poetry Slammer? Auf jeden Fall ein Medienstar. Kaum zu glauben, mit seinen Couplets erreichte Otto Reutter (1870 – 1931) um 1900 mit dem Medium Grammophon und durch Live-Auftritte bereits ein Millionenpublikum. Noch bis heute sind seine gereimten Kleinkunst-Kabinettstückchen für Künstler von Peter Frankenfeld bis Reinhard Mey und vielen anderen unvergessene Vorbilder, ganz abzusehen vom freilich durchweg älteren Publikum.

„In 50 Jahren ist alles vorbei“, „Der Überzieher“, „Nehm´n Se ´n Alten“, „Der gewissenhafte Maurer“ und andere, auch weniger bekannte der insgesamt 1500 Reutter-Couplets präsentierte der Musikdramaturg des Theaters für Niedersachsen aus Hildesheim, Ivo Zöllner im TAB, der ausverkauften Studiobühne des Hamelner Theaters.
Im schwarzen Gehrock mit Zylinder, sich selbst auf dem Akkordeon begleitend, entfaltete Zöllner den ganzen spöttischen Charme der Reutterschen Reimkunst. Ohne zu sehr zu akzentuieren, mit den typische rollenden Reutter-„R“ und nur wenigen, behutsamen Aktualisierungen, machte er die zeitlose Gültigkeit der mehr als 100 Jahre alten Kleinkunstperlen deutlich. Das Publikum war hin und weg. Zu Recht.
Seit 33 Jahren singt Zöllner (Jahrgang 1974) Reutter-Couplets. Gut 150, ein Zehntel des immensen Reutter-Gesamtwerks, umfasst sein Repertoire. Mitunter bringt das Zöllner mächtig ins Schwitzen, wie beim „Überzieher“ mit seinem Doppelreim pro Zeile, jener atemlosen Geschichte um einen stets von Langfingern bedrohten neuen Mantel. Erstaunlich: wird doch die Rasanz des Vortrages von Reutters Original-Grammophon-Aufnahme von 1926 sogar noch übertroffen.
Was verbindet nun den Kleinkunstkönig aus Gardelegen mit dem Operettenzar Franz Lehár und dessen „Land des Lächelns“? Vor allem das Geburtsjahr und die Publikumserfolge. Sonst eher wenig. Zöllners Erklärung: „Ich war mir nicht sicher, ob die Leute in Niedersachsen Otto Reutter wirklich kennen. Und da habe ich Reutter mit dem Operetten-Evergreens von Lehár kombiniert. Die summen die Leute schon nach wenigen Takten mit.“
Im zweiten Teil des Abends dann erzählte Zöllner die Handlung der Lehár-Operette „Land des Lächelns“, und garnierte diese mit jeweils thematisch passenden Reutter-Couplets. Sicherlich ein interessanter, wenngleich angesichts der auch hierzulande zumindest beim betagteren Publikum unvergessenen Reutter kaum notwendiger Kunstgriff.
Gleichwie, mit oder ohne Lehár, die Reutterschen Couplets treffen, zumal wenn sie so stilecht wie bei Zöllner daherkommen, ins Herz. Ein höchst amüsanter Abend an dessen Ende man mit Reutter sagen: konnte „Und so komm´n wir aus der Freude gar nicht raus.“

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