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„Sind Nazis nicht auch Menschen?“

„Sind Nazis nicht auch Menschen?“

Mittwoch, 21. September 2016

webkrafFür die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 9 und 10, die an diesem Vormittag in die kleine Vikilu-Aula hinaufgestiegen sind, ist das Thema ein weißer Fleck. „DDR-Bürgerrechtler? Haben wir im Unterricht noch nichts von gehört“, sagt ein Mädchen. „Aber er soll gut singen können.“ Stephan Krawczyk, einst in der DDR hoch gelobter Sänger, dann in Ungnade gefallen, inhaftiert und in den Westen abgeschoben, schildert kurz und spannend einige Stationen seines bewegten Lebens. Vom Stasi-Anschlag mit Nervengift, von den 80 auf ihn angesetzten Spitzeln, von seiner Liebe zu Freya Klier. „Wir haben die Kraft der Liebe gespürt. Das ist wichtig.“

„Mensch Nazi“, so heißt das Bändchen, das Krawczyk vorstellt. Die Grundfrage: Was sind die Ursachen des Neofaschismus? Krawczyks Antwort: „Es ist die Vereinsamung des Einzelnen, der in der Gruppenzugehörigkeit Heimat und Geborgenheit sucht.“ Seine Forderung: Keine Aus- und Abgrenzung von Nazis,  sondern der Versuch mit Hilfe der Sprache den Menschen im Rechtsextremisten zu erkennen und zu erreichen.

„Sind Nazi nicht auch Menschen?“, fragt der Liedermacher. Nein, verteufeln nutze gar nichts. Im Gegenteil. „Die Vorurteile und Schlagzeilen, die uns die Medien tagtäglich um die Ohren hauen, schüren nur Angst und Unverständnis. Das beraubt uns der Sprache mit der wir einander verstehen könnten“. kritisiert Krawczyk.

Längst sei die Sprache gegenüber der Allmacht der Bilder auf dem Rückzug, bestimme einzig „die Klammer des Geldes“ unsere ständige Suche nach Freiheit, so blieben auch wir Wohlstandsmenschen immer noch Opfer von Ideologien.

„Auf die Nazis menschlich zugehen.“ Eine Botschaft, die leicht missverstanden werden kann, die vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen aber die einzige Möglichkeit zu sein scheint. „Ein offenes Wort öffnet die Situation und schafft Wege aus der Isolation“, sinniert Krawczyk.

Bundesweit ist er auf Vermittlung der Bundeszentrale für Politische Bildung unterwegs. „Im Osten sind die Schüler interessierter und betroffener“, berichtet er. Am Ende gibt´s  bei den Hamelner Neuntklässlern keine Fragen. Nur die Bitte, das allererste Lied noch einmal zu singen. „Hundeliebe“ heißt das und eignet sich prima zum Mitsingen. Die Schüler singen und spüren, worum es Krawczyk geht.

„Im Politik-Curriculum kommt das Thema Rechtsextremismus nicht mehr vor“, sagt Fachgruppenleiterin Kerstin Schmidt. „Nur noch Institutionenkunde und Wirtschaft.“ Unfassbar eigentlich angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Nur durch Sonderveranstaltungen wie die von Stephan Krawczyk werden die Schülerinnen und Schüler durch die Schule für die Problematik überhaupt sensibilisiert. „Doch das ist leider nur eine Randbemerkung“, bedauert Schmidt. Mehr als schade.

 

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