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Christian Friedrich Delius „Die Liebesgeschichtenerzählerin“

Christian Friedrich Delius „Die Liebesgeschichtenerzählerin“

Sonntag, 09. Oktober 2016

webdeiDas Publikum ist nicht sonderlich zahlreich, dafür durchweg vom Fach und belesen. Der Mann mit dem knittrigen Gesicht ist einer der renommiertesten deutschen Schriftsteller, doch gänzlich ohne die üblichen Allüren. Im Gegenteil, er wirkt beinahe zurückhaltend. Gut 30 Literaturfreunde sind zur Matinee unterm Dach der Stadtbibliothek gekommen, und schon die Begrüßungsworte des ehemaligen Deutschlehrers und Vorsitzenden der Bibliotheksgesellschaft, Bernd Bruns, lassen die Vorfreude auf Delius´ Lesung spüren.

Der liest aus seinem neuesten Roman „Die Liebesgeschichtenerzählerin“. Ruhig, fast etwas distanziert, entwickelt er seine Satzkonstrukte, die die Zuhörer in ein niederländisches Seebad entführen, hinein in die Welt der Marie, die einen Roman über ihre Vorfahren schreiben will. Präzise und mit knapper aber gleichwohl bildhafter Sprache dringt Delius ein in die Psyche der Frau, die, nach schweren Jahren, nun endlich innerlich frei und materiell unabhängig genug ist, um ihren Traum vom Schreiben zu verwirklichen. Doch die geplante Geschichte gewinnt eine Eigendynamik, statt des ursprünglichen Themas der Abstammung vom niederländischen Königshaus drängt sich unwiderstehlich die Geschichte des Vaters, eines U-Boot-Kommandanten aus dem Ersten Weltkrieg, in den Vordergrund.

Erinnerungsmomente aus der Zeit des Endes des Zweiten Weltkrieges im Osten mit der existentiellen Frage „Gehen oder Bleiben?“ mischen sich mit Gedanken bei der Betrachtung Amsterdamer Hippies, der treffenden Beschreibung niederländischer Mentalitäten, deren „freundliche Zivilität“ sich für Marie darin offenbart wie jemand einen Zigarettenstummel zu Boden wirft.

Obwohl der Roman im Jahr des Protests 1968 spielt, bleibt alles unaufgeregt, vornehmlich nach innen gerichtet. Schreiben ist ordnen, erkennt Marie, und sinniert auf dem symbolträchtigen  Amsterdamer „Centraal“ Bahnhof, dass „die Anschlüsse  stimmen müssen“ und natürlich die Zeit.

„Ordnen und fügen, ohne sich aus der Besserwisserperspektive einzubringen“, darum gehe es, so auch Deluis in der sich anschließenden Diskussion. Ob das autobiografisch sei, will ein Zuhörer wissen. „Halberfunden“, so Delius und skizziert knapp die Vita des Großvaters, eines christlichen Fundamentalisten.

„Angenehm zu lesen“, erklärt ein weiterer Zuhörer auf die Frage nach dem Stil des Erzählers. In der Tat erweist sich Delius´ Sprache einmal mehr als unaufgeregt dahin fließende, bildhafte Schilderung von Innenwelten, die von außen immer wieder aufs Neue angestoßen werden. Marie, eine Frau, die sich durchs Schreiben emanzipiert? Vielleicht, doch wäre das nicht schon eine Spur zu heftig angesichts der fein strukturierten Innenansichten? Gerade die ziehen Zuhörer wie Leser unaufhaltsam hinein in die Welt der „Liebesgeschichtenerzählerin“ des Friedrich Christian Delius.

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