Gabrielle Spaeths Hafen für Gedankenschiffe
Gabrielle Spaeths Hafen für Gedankenschiffe
Dienstag, 11. Oktober 2016
Dass sie die wo
Dass sie die wohl größte geschäftliche Chance ihres Lebens voll Uneigennützigkeit hat verstreichen lassen, das sieht die 76-jährige Gabrielle Spaeth rückblickend mit Gelassenheit. „Es war um 1990, als das Manuskript von ´Sophies Welt´ von Jostein Gaarder mit der Bitte um Veröffentlichung auf meinem Schreibtisch landete. Ich fand es ungeheuer gut, fürchtete aber, in meinem kleinen Verlag ginge es unter und verwies auf den großen Hanser Verlag“. Das Buch wurde bekanntlich ein Welterfolg.
Bild: Gabrielle Spaeth mit Harry Rowohlt.
Das große Lebensthema der 1939 in Hannover geborenen Gabrielle Spaeth aber ist das Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz. „Warum? Leibniz lebte doch 40 Jahre in meiner Geburtsstadt“, so die Verlegerin. „Ich wuchs im Herzen Hannovers auf und wohnte 1939 bis 1943 zwischen Opern- und Künstlerhaus in der Landschaftsstraße Nr. 2. Wenn ich aus dem Haus trat, erblickte ich das Leibniz-Relief am Künstlerhaus. Zwar wusste ich damals noch nichts über Leibniz, aber diese merkwürdige Gestalt in Stein machte Eindruck auf mich.“
Ihre vier hannoverschen Jahre haben Gabrielle Spaeth geprägt. Sie erinnert sich: „Der schöne gelbe Klinkerbau mit der herrlichen Parkanlage, Rhododendren, einem Birn- und Pflaumenbaum. Mittendrin das Stadthaus von Börries von Münchhausen aus Apelern am Deister.“
1985 beschloss Gabrielle Spaeth Leibniz „für alle neu zugänglich zu machen.“ Dessen „Monadologie“ hat sie bereits im Alter von 14 Jahren gelesen. „Seitdem bin ich bekennender Leibniz-Fan“, lacht sie. Nach dem Konkurs ihres Arbeitgebers, des hannoverschen Schroedel Verlages, wagte sie am 22. Februar 1985 den mutigen Schritt in die Selbständigkeit, gründete in Bad Münder die „Leibniz-Bücherwarte“ um „mich auch mit dem Namen Leibniz in die ´prästabilierte Harmonie´ zu begeben.“
„Ich wollte Leibniz, von dem Ernst Bloch meinte, man würde ihn in Hannover allenfalls durch einen Keks mit der „Idee“ Butter kennen, von einer anderen Seite zugänglich machen“, so die Verlegerin. Ihre „Leibniz-Bücherwarte betrachtet Spaeth dabei als „Landeplatz des schönen Buches“, „Hafen für Gedankenschiffe“ und „Buchbahnhof für Lesereisen“.
Immer wieder haben die von ihr herausgegebenen Bücher den Genius Gottfried Wilhelm Leibniz zum Thema. So erwarb die Münderaner Verlegerin etwa 1990 von der Oxford University Press die Lizenz von George McDonald Ross´ „Leibniz / Leben und Denken“, und entdeckte obendrein mit der Hamburgerin Barbara Brüning eine Autorin, die in etlichen Schulbuch-Publikationen Kindern den Weg zur Philosophie des großen Denkers geebnet hat.
„2016 wird Brünings Buch „Weisheit – Liebe – Gottvertrauen – drei Frauenportraits aus der Zeit der Reformation erscheinen“, kündigt Gabrielle Spaeth an.
Mit den Erinnerungen der Altliberalen Marianne Clemens, deren „Unruhige Zeiten in unserem Lande. Erinnerungen 1912-1948“ in diesen Tagen eine Neuauflage erfahren, landete Spaeth einen weiteren Erfolg. Kurts Kleins „Von Deutschland nach Deutschland / Briefe aus der Ostzone“ war das erste Buch des 1984 verstorbenen Autors, der jedoch zuvor schon als Lehrer in der DDR zahlreiche Artikel und Beiträge veröffentlicht hatte.
„Die mittlerweile mehr als 100 Jahre alte Marianne Clemens, Barbara Brüning und Kurt Klein sind alle gebürtige Leipziger und kommen aus dieser großen Bücherstadt, in der auch Gottfried Wilhelm Leibniz das Licht der Welt erblickte“, so Spaeth über ihre Autoren.
Wahl-Leipziger ist auch der Anglistik-Professor Elmar Schenkel, mit dessen fiktivem Gespräch zwischen Leibniz und dem Erfinder der „Wahrnehmungsfelder“, dem Soester Hugo Kückelhaus die agile Münderanerin ein weiteres anspruchsvolles Buch verlegt hat. „Schon Mitte des 20. Jahrhunderts hat Kükelhaus vor einer Verlagerung des sinnlichen Erlebens ins Virtuelle“ gewarnt. Und er hat Recht behalten“, so Spaeth, „denn uns erscheint gerade heute im digitalen Zeitalter der Fahrplan meist wichtiger als der Zug selbst.“ Es gehe im Dialog zwischen Leibniz und Kükelhaus daher um nichts Geringeres als „die Rettung der Sinne“.
Mit „Leibniz und die Rosenkreuzer“ soll im gleichen Jahr die allerletzte Publikation von Spaeths „Leibniz Bücherwarte“ das Licht der Welt erblicken. „Ich hoffe, dass ich für dieses Thema noch Autoren finde“, so die Verlegerin. „Wenn ich das alles unter Dach und Fach habe, dann gebe ich gerne den Verlag und den Löffel ab.“
Mit sehr viel Enthusiasmus, Zähigkeit und auch unter nicht geringen Entbehrungen hat Gabrielle Spaeth, von der lokalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, Buch um Buch herausgegeben, und ganz wesentlich zum neuen Verständnis ihres großen Vorbildes und damit zur Leibniz-Renaissance beigetragen.
Leibniz und die Literatur haben das Leben der Gabrielle Spaeth bestimmt. „Seine Gedanken sind wie ein Paradiesgarten voller Knospen und blühendem Wachstum, entwickeln immer wieder neue Keime, die gelebt und ausgetragen werden müssen. Der Mensch ist ein Mikrokosmos und trägt in sich ein Geistfunken-Atom“, philosophiert Spaeth. „Dieses Geistprinzip ist ein Kraftzentrum, aus dem Neues entsteht.“ Ihr Credo: „Es ist unser Auftrag, uns des Ursprünglichen bewusst zu werden und darin zu leben. Das Ziel ist es, sich wieder mit dem Geist verbinden zu können. Das ist nur möglich im gelebten Wenigerwerden der Natur. Sie ist eine Karikatur des Ursprünglichen, eine Illusion, in der die Menschen in Ketten gefangen liegen. Das Gute bedingt das Böse, aus Tag wird Nacht, Macht wird Ohnmacht, Leben und Sterben sind Prozesse, die sich immer wiederholen.“ Für Gabrielle Spaeth gilt es, den Kreislauf der ständigen Wiederholungen zu durchbrechen und neues Leben möglich zu machen. „Das einzig Notwendige ist, im Licht zu stehen und in Liebe und Dienen unseren Urtyp wieder zu beleben und in sein neues Sein zu gehen.“
Die Gedanken ihrer Arbeit haben den Namen Bad Münders in die internationale Welt des Buches hinausgetragen und einigen Autoren zu einer Karriere verholfen. Kein Zweifel, mit dieser bewundernswerten Lebensleistung ist Gabrielle Spaeth eine der ganz starken Frauen von Bad Münder.