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Ein neues Bild von Judas

Ein neues Bild von Judas

Donnerstag, 20. April 2017

Mal ehrlich, würden Sie ihr Kind „Judas“ nennen? Wohl kaum. Früher verboten, heute erlaubt, doch Standesbeamte raten ab. Schließlich steht der Name für den Prototyp des Verräters, für einen, dem man trotz christlicher Vergebungsbotschaft nicht vergeben will. Judas, eine Ikone des Verrats. Ist das wirklich so? Oder ist seine Rehabilitation nicht erst seit Ben Beckers Rolle in Walter Jens´ “Der Fall Judas“ schon längst überfällig?

Fragen, die auch die niederländische Autorin Lot Vekemans in ihrem Stück thematisiert, das Gunter Heun in der Regie des langjährigen Intendanten der Gandersheimer Domfestspiele, Christian Doll, jetzt auch in der Hamelner Sumpfblume präsentierte. Die „Sumpfe“, ein erfrischend weltlicher Ort für das monologisierende Zwiegespräch mit dem Publikum, das der Einladung zur zweiten Kooperation zwischen Bibliotheksgesellschaft und Sumpfblume am Gründonnerstag erfreulich zahlreich gefolgt war.

Dass die Reformation des Judasbildes in der Tat überfällig sei, darin waren sich nicht nur die anwesenden Theologen Martin Hoffmann und Udo Wolten einig. Und Gunter Heuns starke, ganz aufs Individuelle ausgelegte Präsentation tat ihr Übriges.

Nicht „ex cathedra“ von der Bühne herab, sondern fortwährend durchs Publikum tigernd, redete sich Heun-Judas seine Geschichte und seine Motive von der gequälten Seele, schwankend zwischen Zweifel und Glaube, schreiend, schwitzend, flüsternd, brüllend, ein unablässiges Ringen.

Sinnlos sei es begreifen zu wollen, 2000 Jahre habe man nichts begriffen, wenig wisse man über ihn. Trotzdem: „Alle Schuld bleibt an mir haften. Jetzt reicht es!“ Heun geht seine Zuschauer direkt an. Keiner kann sich entziehen. „Was hätten Sie getan? Hosianna? Kreuzige ihn? Wo hätten Sie gestanden?“ Nein, das sei weder Rechtfertigung noch Entschuldigung, stattdessen das Psychogramm eines, der Jesus retten wollte. Judas, nicht der Erzschurke, der sich aufknüpft, sondern ein Kämpfer, der nicht einsehen kann, dass sein „Meister“ sich dem Tod ausliefert. „Nicht für mich gestorben!“, brüllt Heun, und zeigt uns Judas als den  revolutionären Zeloten. „Bewaffneter Kampf“, sagt er im anschließenden Gespräch. „gegen die römischen Besatzer“. Ein anderes, neues Judas-Bild.

„Mein Name ist nicht, wer ich bin“, sind Heuns letzte Worte im Stück. „Ich bin stolz auf diesen Namen. Ich bin Judas.“ Ende. Stille, Betroffenheit.

Nein, um´s Geld sei es Judas nicht gegangen, stellte Heun hinterher klar. Und rüttelte auch an anderen liebgewonnen Legenden wie dem des Judaskusses. Zum „Bad Boy“ sei Judas erst bei Johannes geworden, und nochmals nein, er sehe in ihm keine Kunstfigur. „Ich gehe von mir selber aus“, erklärte der 46-Jährige seinem Publikum, das an diesem Abend selbst zum stummen Protagonisten wurde. „Große Kunst, weil die Sprache einfach bleibt“, so Heun über Vekemans Text. Stimmt. Da grenzte angesichts der existentiellen Berührtheit durch Stück und Präsentation die Frage nach der vermeintlichen Frauenfeindlichkeit eines Selbstmörderinnenwitzes eher ans Lächerliche. Sinnvoller dagegen die, ob Judas wohl Vergebung erlangt habe, und ob wir wirklich dazu fähig sind, sein Bild revidieren zu können. Fragen mit denen Gunter „Judas“ Heun sein Publikum in Karfreitag und österliche Erlösung schickt.

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