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Mit Bestnoten zur „Uni Bolognese“

Mit Bestnoten zur „Uni Bolognese“

Montag, 12. August 2019
Bild: Übt Kritik am Bologna-System. Hans Peter Klein. Foto: zu Klampen Verlag

Pünktlich zum Ferienende nimmt auch die bildungspolitische Diskussion wieder Fahrt auf. In gewohnt provokanter Form hat sich dabei auch der Frankfurter Professor für Didaktik der Biowissenschaften Hans Peter Klein zu Wort gemeldet. In seinem zweiten, jetzt im Völksener zu Klampen Verlag erschienen Buch „Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt“ zeichnet Klein ein düsteres Szenario der deutschen Bildungslandschaft und deren Zukunft. Christoph Huppert hat mit Klein gesprochen …

Was hat Sie veranlasst dieses Buch zu schreiben? Und für wen?

Seit PISA und Bologna beschäftige ich mich intensiv mit den Folgen dieses Paradigmenwechsels für das deutsche Bildungswesen und den Ergebnissen der politisch verordneten Bildungsexpansion. Die Quantität der Bildungsabschlüsse ist leider auf Kosten der Qualität massiv angestiegen, wie ich schon in meinem Buch „Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen – das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel“ – ausführlich dargelegt habe. Die Hochschulen sind von dieser Entwicklung zeitversetzt ebenfalls betroffen. Adressaten sind Politiker, Lehrer- und Hochschullehrer, Eltern, Studierende, Journalisten und alle an Bildung Interessierten.

 Sie sprechen von einer „wundersamen Vermehrung von Dissertationen und Bestnoten“. Was sind die Gründe dafür? Was die Folgen?

Von dieser Nivellierung der Ansprüche sind auch die Dissertationen und wissenschaftlichen Publikationen betroffen. Der Grund ist einfach: je höher der wissenschaftliche Output der Fachbereiche, desto wahrscheinlicher ist die Berücksichtigung bei der Vergabe von forschungsbezogenen Drittmitteln, ohne die die unterfinanzierten Universitäten schließen müssten. Mittlerweile werden kumulative manuskriptbasierte Dissertationen von fünf bis zehn oder mehr Autoren akzeptiert, wobei nicht einmal alle Manuskripte von einem Verlag angenommen sein müssen. Mit an die 30.000 Promotionen pro Jahr machen wir uns international lächerlich. Auch die Zunahme wissenschaftlicher Pseudojournals ist eine weitere Folge dieser Entwicklung.

Ihre Kritik am Bologna-System ist massiv. Warum ist das ihrer Meinung nach verfehlt? Was wäre eine Alternative?

Alle Ziele von Bologna sind weitgehend verfehlt worden: eine Angleichung der Abschlüsse besteht nur auf dem Papier, die Mobilität gerade im Bachelor hat sich verringert, 80% sollten einen preiswerten Bachelorabschluss und nur 20% einen Master machen, jetzt ist es genau umgekehrt. Hinzu kommt ein nahezu sinnfreies Auswendiglernen von Power Point Foliensätzen für die Modulprüfungen frei nach dem Motto: reinstopfen, auskotzen, vergessen. Wer das beherrscht, liegt ganz weit vorn. Hier ist ein sofortiges Umsteuern dringend erforderlich. Mit der Entwicklung von Bildung und Wissen hat das Ganze nichts mehr zu tun.

Was sind ihrer Meinung nach die Ursachen dieser neuen deutschen Bildungskatastrophe? Was kann getan werden?

Ich möchte nicht von einer Bildungskatastrophe reden. Es ist aber ein grundlegendes Umdenken erforderlich, Quantität kann nicht vor Qualität gesetzt werden. Das können wir uns im internationalen Vergleich gar nicht leisten. Wir müssen in allen Bildungsbereichen wieder mehr auf Qualität achten. Schule und Hochschule müssen wieder anschlussfähig werden. Auch der Akademisierungswahn mit der Pulverisierung des international hoch angesehen dualen beruflichen Ausbildungswesen durch Einrichtung von bis zu 20.000 teilweise abstrusen Mickymaus-Studiengängen, die nur ihren Veranstaltern nützen, muss gestoppt und zurückgefahren werden.

Momentan wird heftig über ein bundesweites Zentralabitur diskutiert. Was denken Sie darüber?

Unter Kenntnis der gravierenden Leistungsanforderungen in den einzelnen Bundesländern hatte ich anfangs große Sympathie dafür. Was jetzt aber mit dem IQB-Pool von Aufgaben in nur drei Fächern dabei herausgekommen ist, an dem man sich bedienen kann oder auch nicht, ist Realsatire in ihrer reinsten Form. Entweder wir schaffen ein bundesweites Zentralabitur mit einer Gewichtung von mindestens 50% der Gesamtabiturnote, oder wir sollten es ganz sein lassen. Als Alternative könnte man Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen einführen. Dazu fehlt denen aber das Personal.

Ist Digitalisierung das Zaubermittel zur Reform des Bildungswesens? Oder wird sie überschätzt und offenbart ein falsches Bildungsverständnis?

Der Einsatz digitaler Medien in den Bereichen, wo sie nachweislich einen Lernvorteil bieten, ist durchaus sinnvoll. Jetzt aber zu glauben, dass wir mal auf die Schnelle Laptops über allen deutschen Schulen abwerfen und damit die Lernleistungen aller Schüler besser werden, ist reichlich naiv. In Australien werden seit 2016 die Laptops wieder eingesammelt, da sie für den Lernerfolg eher abträglich waren. Auch das Konzept der Massive-Open-Online Courses vor allem an Hochschulen, das in den USA längst als komplett gescheitert gilt, ist die endgültige Verabschiedung von einer personalen Bildung.

Aktuell wird für Kinder, die nicht genügend Deutsch sprechen, ein zusätzlicher vorschulischer Deutschunterricht gefordert. Halten Sie das für sinnvoll?

Ich halte diese Forderung für zwingend notwendig. Die weitgehende Beherrschung der deutschen Sprache ist die Basis für eine erfolgreiche Teilnahme am Grundschulunterricht. Kinder ohne diese Voraussetzungen einfach in den Grundschulklassen dazu zu setzen, ist mehr als leichtfertig und unverantwortlich, da diese aufgrund der fehlenden Basis an einem Lernerfolg nachhaltig gehindert werden. Sollte dies nicht geschehen, wird der Ansturm auf die Privatschulen bildungsinteressierter Eltern weiter zunehmen, die eine angemessene Förderung ihrer Kinder in öffentlichen Schulen nicht mehr erwarten.

Sie stellen ein 15-Punkte-Programm vor. Was sind dessen wichtigsten Vorschläge?

Eine Bildungsexpansion bedarf immer einer ausreichenden Finanzierung, ansonsten endet sie im Chaos. Pro Jahr müssten mindestens 20 Milliarden Euro aufgewendet werden, um die strukturelle und vor allem personale Ausstattung an Schulen und Hochschulen deutlich zu verbessern. Wer glaubt, er könne an Universitäten Professoren/Studierenden Verhältniszahlen von 1: 100 oder mehr akzeptieren und sich gleichzeitig mit Elite-Universitäten aus dem anglo-amerikanischen Raum vergleichen, macht sich international lächerlich und verspielt in der Tat Deutschlands Zukunft.

Hans Peter Klein: Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt. Zu Klampen Verlag Völksen, 220 Seiten, Hardcover, Euro 20.- ISBN 978-3-86674-593-3

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