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Mit Vollgas in die Sackgasse

Mit Vollgas in die Sackgasse

Freitag, 23. August 2019
Bild: Evelin Lindner (li.) bei ihrem Vortrag im „Bürgerhus“.

Evelin Lindner kann es kaum fassen. In der ersten Reihe sitzen Albert Marienhagen und seine Frau. Auf dessen Bauernhof in Esperde ist die heute promovierte Ärztin und Psychologin als Flüchtlingskind in den 50er Jahren aufgewachsen. „Wir hatten kein Geld und dennoch alles. Diese Zeit hat mir die Kraft gegeben“, erinnert sie sich bewegt. Nie wieder Demütigung, so ihr damaliges Lebensmotto nach Krieg, Verwundung und Vertreibung ihres Vaters aus Schlesien. „Ich bin überall zuhause“, so die Weltbürgerin, die ihre umfangreiche wissenschaftliche Arbeit ganz den Themen „Demütigung, Erniedrigung und Würde“ gewidmet hat.

Zusammen mit „ZediTA“, dem Innovationsprojekt der Hochschule Weserbergland, und der Künstlergemeinschaft „Artes Wesera“ stellte Lindner, die ihr Leben als durch viele Kulturen geformte „Sozial-Skulptur“ versteht, im übervollen „Bürgerhus“ ihr Plädoyer für „ein neues Miteinander“ vor. Alles dreht sich dabei um den zentralen Begriff der „Demütigung“. Lindner: „Demütigung ist ein Beziehungsakt, ein emotionaler Zustand und sozialer Mechanismus.“

Galt „Demütigung“ von der neolithischen Revolution vor 11000 Jahren bis 1948 als „Pflicht für Herrschaftsformen männlich geprägter Gesellschaften“, so wurde er mit der Formulierung der Menschenwürde nach dem Zweiten Weltkrieg als „antisozial“ negativ definiert. Eine Neubestimmung, die alle Lebensbereiche umfasst.

Ihre daran angeknüpfte Prognose für die globale Zukunft fällt deprimierend aus. „Was wir uns als Kreuzfahrtschiff vorgestellt haben, ist eine Titanic auf dem Weg zu den Eisbergen“, mahnt die Referentin. „Wir sitzen im Rettungsboot und haben die Planken herausgebrochen, um Party zu machen.“ Lindner ist sich sicher: „Wer versucht sich durch Ausbeutung anderer oder der ökologischen Ressourcen einen kurzfristigen Vorteil zu verschaffen, trägt zum schnelleren Untergang des Rettungsbootes bei.“ Sie zweifelt nicht, dass die „Party auf Pump“ zu Ende geht. Umdenken tut not. Noch habe man die Möglichkeit zwischen „Hospiz“ oder „Hospital“ zu wählen. Statt gesellschaftlichem „Soziozid“ plädiert die Gründungspräsidentin eines transdisziplinären Netzwerkes für Menschenwürde für „gemeinschaftliches Teilen“ und „bedingungslose direkte zwischenmenschliche Solidarität in allen Lebensbereichen.“ Die Dominanz des alles bestimmenden Marktpreises, und eines grenzenlosen Wachstums“ habe in die Sackgasse geführt.

Eine Analyse, die auch ZediTA-Projektleiter Sebastian Reh und der Präsident der Hochschule, Prof. Hans Ludwig Meyer, mit Interesse hörten. „Das entspricht unserem ganzheitlichen Ansatz“, kommentierte Reh Lindners Ausführungen. „Wir wollen durch unsere Innovationscommunity vor allem Menschen verbinden, neue Gemeinschaften herstellen und kreative Elemente in Unternehmen und die sich wandelnde Arbeitswelt einbringen.“ Mit Erfolg, denn schon in der Pause wurde Lindners Analyse von den Zuhörern lebhaft diskutiert.

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