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Hirschhausen in der Rattenfängerhalle

Hirschhausen in der Rattenfängerhalle

Samstag, 07. März 2020

„Virus? Das verdrängen wir“, sagt ein älteres Ehepaar, das es sich in Reihe 7 der fast ausverkauften Rattenfängerhalle schon lange vor Beginn des Auftritts von Dr. Eckhart von Hirschhausen bequem gemacht hat. Der sollte eigentlich in der Mindener Kampa-Halle stattfinden, die jedoch abgerissen werden muss, sodass Hirschhausens Live-Programm „Endlich!“ nach Hameln ausweichen musste.

Ein Programm, in dem sich alles um den Themenbereich Lebenszeit, Vergänglichkeit und Lebensverlängerung dreht und das dank der medialen Allgegenwart Hirschhausens bundesweit ausverkauft ist. Auch seine Hamelner Patienten bringt der ehemalige Kinderarzt schon nach wenigen Worten zum Lachen, denn das ist die beste Medizin. „Er kann einfach genial Comedy mit wissenschaftlichen Fakten und Sachen zum Nachdenken kombinieren“, stellt der 28-jährige Hendrik, der mit seiner Freundin Kathrin aus Minden angereist ist, fest. „Und er hat Niveau, was ihn von vielen anderen Comedians unterscheidet“, fügt die hinzu.

In der Tat unterbreitet der gelernte Arzt aus Berlin seinem Publikum neben guten Ratschlägen zum besseren Leben viele Fakten, die er mal mit einer kleinen Prise Magie in Form einiger Seiltricks, aber auch durch einige gut vorgetragene Songs untermauert.

Ihm zur Seite steht Christoph Reuter, ein Pianist der Extraklasse, der aus den Zahlen eines Geburtsdatums schon mal auf die Schnelle eine gefühlvolle Klaviernummer improvisieren kann und ab und an als Hirschhausens Sidekick agiert.

Der kann gleichfalls genial improvisieren, findet in der Hall den 14-jährigen Jannis als jüngsten  und die 91-jährige Marie als älteste Gäste, und weiß mit ihnen ebenso charmant zu plaudern wie mit Wolfgang, einem Dialysepatienten mit Spenderniere, den er in der Pause zufällig kennengelernt hat und in sein Plädoyer für Organspende einbaut

„Jeder Abend ist einzigartig, auf der Bühne bin ich in meinem Element. Live-Auftritte sind mein Lebenselixier“, so der mittlerweile 50-Jährige, der sich seinen jungenhaften Charme bewahrt hat. „So jung kommen wir nicht mehr zusammen.“

Kalauer und Banales bleiben draußen, Hirschhausen Wortwitz ist stet funktional, wie erwartet eloquent und tiefsinnig. „Das Leben ist wie eine Wunderkerze, aber wundern müssen wir uns selbst.“ Seine politische Positionierung ist unmissverständlich: „Zum Rechtsruck: wenn 20 Prozent so laut schreien, wir sind das Volk, würden ich mir wünschen, dass die 80 Prozent, die noch lauter schreien könnten ein ´ich lebe gerne in einer offenen demokratischen Gesellschaft´ dem entgegenhalten.“

Hirschhausen erweist sich einmal mehr als wortgewandter Plauderer, der sich nicht als Messie, sondern als „ Sammler ohne festgelegtes Themengebiet“ outet, der mit einer Abwandlung eines Beatles-Klassikers mit seinem „All you need is less“ für ein entschiedenes „Weniger ist mehr“ eintritt, Tempo 25 für SUV-Fahrer fordert, sein verändertes Lebens- und Ernährungsverhalten höchst amüsant und zum Nachdenken anregend thematisiert und das globale Fehlverhalten mit der  drastischen Frage „Kacken Sie eigentlich in ihr Wohnzimmer?“ anklagt. Ob midlife-Krise, Pubertät, der Weg ins Alter, Todesnähe und Alltagshektik, Hirschhausen mahnt zur Gelassenheit. „Man nimmt im Alter alles nicht mehr so tragisch wie als junger Mensch“, stellt er fest. Und erreicht mit „Wenn wir hell leuchten, müssen wir keine Angst haben, wenn es zu Ende ist, bleibt unter der Asche die Glut“ nahezu philosophisches Niveau.

Zu Herzen Gehendes mischt sich mit witzig verpackten Botschaften, vom Lob für Greta über den Respekt vor dem Alter und über allem dem Rat zur inneren Entschleunigung. Mit Hirschhausens Lebenshilfe kann die zu schnell laufende biologische Uhr wieder in den richtigen Takt gebracht werden. Zumindest einen herrlichen Abend lang, ohne quälende Gedanken an Viren, Anti-Aging Cremes und ideologisierten Ernährungswahn. Beim Doktor der Nation ist man Mensch und darf es sein. Völlig rezeptfrei und ohne Zusatzversicherung.

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