Uwe Lampe
Uwe Lampe
Freitag, 30. Juli 2010
Vom Schreibtisch seines Hauses am Ebersberg in Springe aus geht Uwe Lampes Blick weit in die Ferne. Am Horizont schimmern blau die Hildesheimer Berge. Ein bisschen Fernweh schwingt schon mit, wenn der 54-Jährige von seinen Einsätzen in Bosnien und im Kosovo, vor allem aber in Afghanistan erzählt.
Bild: Uwe Lampe
Uwe Lampe, Oberstleutnant der Reserve, hat eine bemerkenswerte militärische Karriere hinter sich gebracht. Vom Panzergrenadier in der Zeit seines aktiven Dienstes in den 70ern über zahllose Wehrübungen als Reservist beim Nienburger Grenadierbataillon 32 brachte er es bis zum Kommandeur einer nicht-aktiven Schatteneinheit, war Herr über 1000 Mann, die im Erstfall zusammen mit aktiven Einheiten eingesetzt worden wären.
„Damals galten allerdings noch die Szenarien des Kalten Krieges“, erinnert sich Lampe, Heute müsse sich die Truppe mit der „globalen asymmetrischen Bedrohung, mit Terroristen, verdeckten Kämpfern und Partisanen“ auseinandersetzen. Eine Erfahrung, die der hagere Reserveoffizier vor allem bei seinen Auslandseinsätzen im Kosovo, in Bosnien und in Afghanistan gemacht hat. Im Lager Kundus war Lampe dabei u.a. als Verbindungsoffizier zur Deutschen Botschaft eingesetzt.
„Es sind nur wenige Soldaten, die das Lager verlassen, um Patrouillen durchzuführen“, erklärt er. Auf zwei sich aktiv im Einsatz befindende Soldaten der Kampfeinheiten kämen mindestens acht unterstützende Kameraden.
Die mitunter in der Öffentlichkeit geäußerte Kritik an der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten teilt Lampe nicht. „Angesichts der Bedrohungsszenarien durch Selbstmordattentäter, Sprengstoffanschläge und Hinterhalte wird es nie einen hundertprozentigen Schutz geben.“ Gemessen am Standard der in Afghanistan eingesetzten Einheiten anderer Nationen stehe der Bundeswehr „das Modernste in Sachen Material, Ausrüstung und Bewaffnung zur Verfügung.“ Lampe fügt hinzu: „Die Kritik an Ausrüstung und Bewaffnung wird nach meinem Eindruck immer dann als Argument genommen, wenn man mit strategischen Fragen nicht weiterkommt.“ Außerdem dürfe man sich über Pannen nicht wundern, wenn „in Deutschland nicht erprobtes Material eingesetzt“ werde.
Kritische Bemerkungen findet Lampe auch für die landeskundliche Vorbereitung der in Afghanistan eingesetzten Soldaten. „Die Vorbereitung ist ziemlich gradförmig, einerseits natürlich die ganz normale infanteristische Ausbildung, das Thema Land und Leute aber kommt viel zu kurz. Ein Blockunterricht von drei Stunden reicht da einfach nicht.“ Aspekte wie Geografie, Kultur, Bevölkerungsstruktur und Religion könnten nicht der Selbstverantwortung und Eigeninitiative des einzelnen Soldaten überlassen werden.
Schärfere Töne schlägt Lampe an, wenn es um die Einschätzung der humanitären Hilfe geht. „Hier arbeitet, besser improvisiert, jede Nation in eigener Verantwortung. Durch meinen Einblick als Verbindungsoffizier zur Deutschen Botschaft in Kabul habe ich festgestellt, dass es da – auch im Hinblick auf die UNO – keine funktionierende Koordination gibt. Und auch die humanitären Maßnahmen der Truppe selbst, die zivil-militärische Zusammenarbeit CIMIC, ist nicht frei von Widersprüchen.“ Da werde etwa in einem Dorf eine Gemeinschaftstoilettenanlage gebaut und man müsse nach einem Jahr feststellen, dass die von der Bevölkerung nicht genutzt werde, da die Afghanen keine solchen Anlagen kennen. Oft wolle man Gutes tun, lasse es aber an notwenigen Kenntnissen und an Fingerspitzengefühl fehlen. „Wenn man den Kindern an einer Schule Stifte und Schreibmaterial zur Verfügung stellt, dann ist das an sich eine gute Sache. Wenn man aber die Hilfsgüter einfach nur vom LKW ablädt oder – schlimmer noch – in die Menge wirft, dann ist das nicht nur unangemessen, sondern wird auch als entwürdigend empfunden.“
Für Lampe ist der entscheidende Fehler, „dass wir unsere praktischen Vorstellungen und Werte einfach nach dem Muster „Was gut für uns ist, ist auch gut für die“ übertragen.“
Zwar werde bei uns öffentlich verbreitet wie gut wir in der Erledigung humanitären Aufgabe seien, doch sei Fakt, „dass die Amerikaner im Verhältnis das 15-fache aufwenden.“ Zwischen CIMIC- und den zivilen Einsätzen, etwa des ehemaligen deutschen Entwicklungsdienstes, gäbe es, so Lampe, kaum eine Koordination. In den letzten Jahren seien diese Anteile auf ein Minimum geschrumpft.
2005 habe es noch knapp 100 Gesellschaften gegeben, die Einzel- oder größere Projekte betreut hätten, nach der Entführungswelle von 2007 habe das merklich nachgelassen.
Lampe: „Es ist ein Irrglaube, dass diese Projekte durch das Militär geschützt werden können. Dazu haben wir weder die ausreichenden Kräfte noch einen Auftrag.“
Hinfahren, sich eingraben und gelegentlich mal den Kopf raus strecken. Das ist für Lampe das traurige Fazit der militärischen Effektivität des deutschen Afghanistaneinsatzes. Eine Einwirkung auf oder gar Kontrolle einer Region sei nicht möglich.
Ziel müsse es daher sein, so lange mit eigenen Kräften präsent zu sein bis die Afghanen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nähmen. „Doch davon sind wir noch sehr weit entfernt. Gemessen an dem, was erreicht worden sei, sei das auch „in Jahren nicht zu erreichen. “ Vom Gedanken in Afghanistan demokratische Strukturen nach westlichem Vorbild aufzubauen, habe man ohnehin bereits Abschied genommen. Man werde dort immer wieder auf korrupte Klans, Warlords und Drogenbarone stoßen. „Die Kabuler Regierung, das völlig ungelöste Drogenproblem und die Widersprüche zwischen offizieller und tatsächlicher pakistanischer Politik sind Grundelemente dieser Gemengelage.“
Als gänzlich abwegig schätzt Lampe die Behauptung ein, Afghanistan sei „Hort des internationalen Terrorismus“. „Der agiert heutzutage global und das Szenario eines terroristischen Zugriffs von Afghanistan aus auf pakistanische Atomwaffen ist völlig unrealistisch.“
Eine nur sporadische aufflammende Afghanistandiskussion, immer dann wenn es Opfer zu beklagen gäbe, eine weitgehend „aus dem Bauch“ heraus begründete öffentliche Ablehnung des Afghanistaneinsatzes, und Politiker, „die Antworten schuldig“ blieben, so umreißt Lampe die derzeitige bundesdeutsche Afghanistan-Diskussion. „Es ist ein gewaltiges Herumeiern in der Politik angesichts der Tatsache, dass das, was wir auf die Fahnen geschrieben hatten, nicht zu erreichen ist.“
Wie aber können Ausstiegszenarios aussehen? Dazu Lampe: „Im Augenblick ist der einzige Ausweg das, was die Amerikaner erklärt haben, nämlich sich zu einem bestimmten Datum zurückzuziehen.“ Doch Lampe bleibt skeptisch: „Wir werden Jahre später erkennen, dass wir in der Geschichtsschreibung nur ein kleinen Baustein waren.“
Es müsse „ein kultureller, sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aufbau auf der Grundlage afghanischer Wertvorstellungen“ passieren. Doch dann müsse man, so Lampe, nicht über Jahre, sondern „über Generationen“ reden.