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Wehrhahns Zorn

Wehrhahns Zorn

Sonntag, 05. September 2010

webtextwehrhahn2Der heilige Zorn der kleinen Leute

Vorsicht! Brigitte Wehrhahn schießt scharf. Wer sich mit ihr anlegt, den fegen ihre plattdeutschen Pointengeschosse vom Stuhl. Eine schmerzliche Erfahrung, die eine junge Ratsfrau bei der Premiere von Wehrhahns sechstem Programm „Wat schall dat?“ machen musste. Schon der Versuch, die Tatsache, dass die Stadt Bad Münder die kleinen Jubiläumspräsente für hochbetagte Senioren durch herzlose Briefvordrucke ersetzt hat, zu rechtfertigen, zog eine derbe, vom Publikum reich beklatschte Abmahnung durch Brigitte Wehrhahn nach sich.

Im voll besetzten Deutschen Stuhlmuseum hatte die ein Heimspiel, bot zwar altvertraute Plattdeutsch-Kalauer aus dem dörflichen Ambiente, im Mittelpunkt aber standen heftige Attacken auf Promis und Politiker.

Die Eimbeckhäuserin hat sich von der plattdeutschen Witze-Erzählerin zur scharfzüngigen Polit-Kabarettistin gewandelt, die sowohl Lokales wie Internationales ins Visier nimmt.

Ihre plattdeutschen Aufreger sind gut recherchiert und treffen den Nerv des höchst amüsierten Publikums. Von Bad Münder, dem „Mekka für Gutachter“ über den Vorschlag eines heimischen Politikers eine Fusion mit Lauenau anzustreben („Ganz Schaumburg hat gebrüllt vor Lachen, das ist doch, als ob man sich statt einer Nasenkorrektur eine Pestbeule ins Gesicht operiert“) bis hin zur Subvention der Bayreuther Wagner-Festspiele für „Gottschalk und sein Nachtgespenst“.

Applaus für Käßmann, Schande über Mixa und Zollitzsch. Hier der „völlig talentfreie Guido Schwesterwelle“, dort die Wehrhahnsche Gesellschaftsanalyse: „Die Unterschicht hat Magersucht, die Mittelschicht Schwindsucht und die Oberschicht Fettsucht.“ Es ist der heilige Zorn der kleinen Leute, der sich da vehement Bahn bricht. Die Bitternis über Dienstwagen, Diäten und ergebnisloses Gipfeltheater. „Was für Leuten sind wir bloß in die Hände gefallen?“ ruft die Wehrhahn. „Gaukler, Gauner, Giftmischer? Eher wohl eine Gurkentruppe.“

Es sind die unverschämten Ungereimtheiten, die sie und ihre Zuhörer zur Verzweiflung treiben. Etwa, dass Spinat-Blubb Verena Pooth, die Dutzende von Familien in den Ruin getrieben hat, dafür mit einer TV-Reihe „Wenn Engel helfen“ belohnt wird. Oder Schnellfahrer und Steuer-Exilant Michael Schumacher vom Finanzamt eine „Angebot“ erhalten habe, wenn er zurückkomme. „Mir machen die nie Angebote, die buchen nur ab“, so Wehrhahn.

Zwischendurch gibt´s Derb-Erotisches über Viagra und Viagretten („für den kleinen Ständer zwischendurch“), skurrile Gebrauchsanweisungstexte, und auch am ersten Kreisel in Bad Münder entdeckt Brigitte Wehrhahn Schildbürgerhaftes. Alles nur Populismus? Nein, denn Wehrhahn plattdeutsche Politparade zeigt, wie sehr sich die politische Klasse von jenen, denen sie Amt und Macht verdanken, entfernt hat. Auch in Bad Münder, vielleicht waren bis auf besagte Ratsfrau deshalb Mandatsträger der Veranstaltung ferngeblieben.

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