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Theaterknigge

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Dienstag, 09. November 2010

Herr Knigge fehlt oft bei Theater und Konzert

Lassen Sie mich mal durch!“ herrscht mich die gut gekleidete Mittsechzigerin an. „Wir haben die Plätze da hinten.“ Sagt´s und drängt sich samt verlegen dreinblickendem Begleiter an mir und der langen Reihe meiner Sitznachbarn durch Reihe 5 im großen Saal des Hamelner Theaters. Nach einigem Hin- und Her erreicht das Pärchen wohlbehalten seine Plätze am Ende der Reihe und lässt sich aufatmend in die blauen Polstersitze plumpsen. Zwar wären die von der anderen Seite aus fast mühelos zu erreichen gewesen, doch dafür hätten die beiden einen kleinen Umweg durchs Foyer nehmen müssen. Offensichtlich unzumutbar. Da jagt man lieber mehr als ein Dutzend Theatergäste hoch und quetscht sich dann rücklings durch. Derlei Fehlverhalten ist gar nicht so selten zu beobachten. Es scheint, als fehle Herr Knigge ziemlich häufig bei Konzert und Theater.

Alles eine Frage des Alters, der Erziehung, der Bildung höre ich Sie sagen. Weit gefehlt. Dass selbst lebenserfahrene Seniorinnen ihre Konzertnachbarn zum Wahnsinn treiben können, bewies jene Konzertbesucherin in der Kapelle von Schloss Hastenbeck, die unter Ausstoßung eines gelegentlich geflüsterten „Oh, das kenne ich“ ihre Umsitzenden durch Mitsummen markanter Stellen des Musikstücks nervte. Deutliches Räuspern und bitterböse Blicke in ihre Richtung beantwortete die Dame nur durch ein freundliches Lächeln, wohl nicht ahnend, dass mehr als einer der Konzertfreunde ihr in diesem Moment durchaus Arges an den Hals wünschte. Doch sie nahm´s nicht wahr, gab sich ganz dem Mitsummen hin und verließ glücklich den Raum, nicht ohne ihrer Freundin lautstark mitzuteilen, was es doch für eine schönes Konzert gewesen sei, vor allem, weil sie die Mehrzahl der Stücke sogar gekannt habe.

Gegen soviel Ignoranz nehmen sich die Konzertkonsumenten, die es zur Sommerzeit ab und an aus Versehen in die Marktkirche verschlägt, harmlos aus. Die mit Plastiktüten und Einkaufstaschen bewehrten, sommerlich luftig, bunt und locker Gekleideten werden in der Regel von aus dem Kirchenschiff nach außen dringende Orgeltönen angelockt und finden sich unversehens mitten in einem Kirchenkonzert wieder. Nachdem geklärt worden ist, ob es was kostet – nein, es kostet nichts – richtet man sich mit jener um Vermeidung von Geräuschen besorgten Bemühtheit, welche gerade besonders störend ist, in einer Bankreihe ein. Ein fortwährendes „Pssst!“ und „leise, hier ist Musik“ an die ohnehin kurz vor dem Nörgelausbruch stehenden Kinder, denen schon beim Eintritt ins Gotteshaus ein „Das ist langweilig!“ auf der Stirn steht, erregt den Unmut der anderen, meist älteren Lauschenden. Zumal, wenn die Einkaufstütenschlepper nach wenigen Minuten zum gleichen Ergebnis wie ihre Kinder kommen und ihrem unauffällig auffälligen Eingang einen ebensolchen Abgang hinzufügen.

Manchmal aber gelingt es auch den Veranstaltern selbst durch störendes Beiwerk die Harmonie eines Konzert- oder Theaterabends zu stören. So kriecht seit einiger Zeit etwa 20 Minuten vor der Pause aus Richtung Theaterfoyer der Duft von gerade sich im Stadium des Aufbackens befindlicher Brezel. Mit oder ohne Käsegeschmack samt dazu gehörigem Duft. Den mag man oder man mag ihn nicht. Ich mag ihn nicht. Und so verbindet sich der Brezel-Käse-Hauch unauslöschlich mit dem Bühnengeschehen und jegliche Erinnerungsversuche ans Stück, sei´s gut oder schlecht, gehen einher mit dieser unangenehmen atmosphärischen Begleiterscheinung.

Auch andere, eigentlich angenehme Duftphänomene können bei Konzert und Theater gegenteilige Auswirkungen entfalten. Wenn etwa das schwere, süßliche Parfüm der Besucherin drei Reihen vor mir die Sinne derart benebelt, dass eine Konzentration auf Bühne und Schauspieler kaum noch möglich ist.

Geschmackssache allerdings, für einige wohl eher Glaubensfrage, ist allerdings die Frage, wann geklatscht werden darf. Während in anderen Ländern durchaus die Freude über einen gelungenen Satz mit Beifall kundgetan werden darf, verkneift sich der Deutsche seine Freude bis zum Schluss. Auch wenn mitunter ist nicht ganz klar ist, wann Schluss ist. Dann schaut sich alles an bis einer den Mut fasst loszuklatschen. Und ich wette, das ist er dann, der viel zu selten bei Konzert und Theater anzutreffende Herr Knigge.

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