Zeilen Sprung – Das Redaktionsbüro

05042 - 504 008

info@zeilen-sprung.de

Münderaner Juden

Münderaner Juden

Mittwoch, 10. November 2010

webweihnMit einer derart großen Resonanz hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Immer mehr Zuhörer drängten sich ins Gemeindezentrum in der Echternstraße, um Bernhard Gelderbloms Vortrag über „Das gewaltsame Ende der jüdischen Gemeinde Bad Münder in der Zeit des Nationalsozialismus“ zu hören. Eingeladen hatten die evangelische und katholische Kirchengemeinde sowie der örtliche Heimatbund mit Unterstützung der Stadt.

Bild: Das „Weihnachtsbild“


Neben Bürgermeisterin Silvia Nieber und Ortsbürgermeisterin Petra Joumaah waren auch viele Ratsmitglieder erschienen. „Ein wichtiges Thema an einem historisch bedeutsamen Tag“, so Uwe-Peter Keil.

In seiner gewohnt ruhigen und bedächtigen Art, zugleich aber auch spürbar von den geschilderten Inhalten aufgewühlt, skizzierte Bernhard Gelderblom, Historiker, Theologe, Lehrer und ausgewiesener Experte für die Thematik, eingangs knapp das jüdische Leben in Münder vor 1933, von den „Schutzbriefen“ um 1700 bis zum Einrichtung einer Synagoge im Haus Deisterallee Ecke Junkerstraße im Jahr 1835, die in der „Reichspogromnacht“ 1938 geschändet wurde. 1885 lebten unter den 2300 Einwohnern 36 jüdische Bürger. Der 1782 am Mönjesod errichtete, 2000 Quadratmeter große Friedhof ist bis heute erhalten.

Breiten Raum in Gelderbloms Darstellung nahm das von ihm akribisch recherchierte Schicksal einiger in Münder ansässiger jüdischer Familien ein. „Über die wurde nach 33 ein Netz geworfen“, so Gelderblom, „Nürnberger Rassegesetze, die planmäßige Entrechtung undwebsiefriedh4 Verdrängung aus dem öffentlichen Leben, die Nötigung zur Auswanderung bei gleichzeitig wachsender Ausplünderung waren Vorstufen zur Ermordung im Holocaust.“

webfriedheim1Tief bewegt nahmen die Zuhörer etwa das Schicksal der Familie Friedheim zur Kenntnis. Vater David und Frau Emma hatten mit Sohn Hermann ein Geschäft für Herrenkonfektion am Oberntor 11 betrieben. Sohn Hermann war nach dem 9.11., der Reichspogromnacht, nach Buchenwald verschleppt worden, und hatte nach der Rückkehr Sophie geheiratet. „Die galt obgleich evangelisch nach den Rassegesetzen als Jüdin, denn es kam jeweils auf die vier Großeltern an“, erläuterte Gelderblom die menschenverachtende Gesetzeslage. Wie auch das Publikum schaut er immer wieder fassungslos auf das „Weihnachtsbild“, eines der wenigen Bilddokumente jüdischer Bürger aus Münder. Es zeigt Sophie und ihre 1936 geborene uneheliche Tochter Ingrid mit Oma Rosa. „Eine Ehe mit dem Kindsvater hätte diese Frau und das Kind gerettet“, sagt Gelderblom leise.

Die Zuhörer erfahren an diesem Abend noch viele erschütternde Details: über die Ausplünderung durch „Reichsfluchtsteuer“ und „Ausgleichsabgaben“, die eine Auswanderung oft verhinderte, über willfährige Vollzugsgehilfen des NS- Terrors wie Bürgermeister Kleineck und Landrat Mercker, über die Flucht der Windmüllers im allerletzten Augenblick, über den Abtransport der letzten Münderaner Juden per LKW am 28.3.1942. „Der fuhr vom Feuerlöschteich ab“, so Gelderblom und schweigt einen Augenblick lang.

Leider gäbe es im Gegensatz zu anderen Orten von Münderaner Juden kaum Bildquellen, klagt der Historiker. Daher seine dringende Bitte: „Helfen Sie uns Bildmaterial zu finden, damit das Schicksal dieser Personen ein Gesicht bekommt.“ Und auch die am heutigen Gebäude am ehemaligen Standort der Synagoge angebrachte Tafel sollte nach Meinung Gelderbloms überarbeitet werden. „Die formuliert ganz im Stil der damaligen Zeit, aber das genügt nicht!“ Eine Bitte, der sich nach diesem tief anrührenden Vortrag wohl keiner der Anwesenden entziehen konnte.

Weitere Einträge