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Erös-Vortrag

Erös-Vortrag

Freitag, 26. November 2010

weberosSein Ton ist rau, sein Umgang mit dem Publikum fast rabiat. Der untersetzte Mann am Vortragspult, der an diesem Tag bereits mehr als 1000 Kilometer Anreise per Auto hinter sich gebracht hat, kann den gelernten Fallschirm- und Gebirgsjäger nicht verleugnen. Doch die 80 zumeist uniformierten Zuhörer im Saal der BHW-Postbank nehmen Dr. Reinhard Erös den energischen Umgangston nicht krumm.

Bild: Dr. Reinhard Erös bei seinem Vortrag bei BHW-Postbank Hameln

Schließlich hat der 62-jährige Bayer eine beispiellose Vita vorzuweisen: Fernspähoffizier, Truppen- und Oberstarzt, Politikwissenschaftler, Dozent an der Führungsakademie, 1993 gar medizinischer Berater von UN-Generalsekretär Kofi Annan, und – so Oberst der Reserve Hermann Schmidtchen von den einladenden Reserveoffizieren Hameln – „der mit zwei Dutzend weltweiten Auslandseinsätzen wohl einsatzerfahrendste Krisenregions-Soldat.“ Der freilich hatte sich in der Ära Scharping mit dem Minister überworfen und war gegangen. Erös´ Bemerkung „der musste dann sogar noch früher gehen als ich, aber aus anderen Gründen“ erntet einen Lacher.

„Vieles wird gleich ihren Widerspruch provozieren“ kündigt Erös an. Er redet frei, und er redet Tacheles. 79 Prozent der Deutschen seien gegen den Afghanistaneinsatz, 73 Prozent der Parlamentarier dafür. „Eine in der deutschen Geschichte einmalige Situation. Schließlich geht es um Krieg und Frieden und nicht um Stuttgart 21.“ Trotzdem werde die Sinnfrage nicht diskutiert, blieben Fragen wie die nach der Dauer des Einsatzes und seiner Ziele unbeantwortet. Die Freiheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen sei, zitiert Erös Volker Rühe, „nicht nur falsch, sondern auch gefährlich.“

Das Kriegziel, die Rückkehr der Terroristen zu verhindern sei unsinnig. Erös wählt drastische Vergleiche: „Sie erwischen Ihre Frau mit einem Liebhaber im Bett, verjagen ihn und sagen, sie bleiben so lange im Schlafzimmer bis er nicht wieder kommt. Wie lange bleiben Sie? Das ist absurd.“

„Warum sprechen wir nicht darüber, dass die Saudis den internationalen Terrorismus finanzieren?“ Ohne Saudis keine Taliban. Der Wahhabismus, eine konservative, radikale Form des Islam, sei auch im saudischen Gottesstaat Staatsreligion. Erös: „Jeden Freitag wird dort geköpft, gehängt und gesteinigt. Das thematisieren wir nicht,“

Die „Agenda der Taliban“, überrascht Erös seine Zuhörer, sei lediglich „regional“. Die wollten ihren sunnitischen Gottesstaat mit wahhabitischer Scharia nach dem Motto „durch Terror zur Tugend“, der internationale Terrorismus aber habe seine Wurzeln nicht in Afghanistan. Kein Afghane sei bislang an irgendeinem Terrorakt im Ausland beteiligt gewesen. „Wer von hier aus dahin ins Ausbildungslager geht, gehört nicht zur Elite der Terroristen. Da kann man nicht lernen ein Flugzeug in Wolkenkratzer zu steuern.“

Vehement beklagt Erös die westliche Unkenntnis über die Krisenregion Afghanistan. „Wir dürfen nicht eine bestimmte Gruppe dämonisieren“, fordert er. Anhand eines einfachen Verkehrszeichens verdeutlicht er grundsätzlich andere Mentalitäten und Denkweisen der dortigen Bevölkerung und kommt zum Schluss: „Uns fehlt die primitivste Kulturkompetenz. Bei uns wird ja noch nicht einmal die Sprache des Feindes unterrichtet.“

Vorbereitende Bundeswehr-Crash-Kurse in Sachen Landeskunde seien ebenso defizitär wie die militärpraktische Vorbereitung. „Man darf eben nicht nur ausreichende Kenntnisse im Rückwärtsfahren mit dem Dingo haben. Im Ernstfall kostet das Leben. Mir graust´s.“

Mit seiner 1998 gegründeten „Kinderhilfe Afghanistan“ will Reinhard Erös andere Wege gehen. Noch zu Zeiten der Taliban hat er vor allem in den gefährdeten Süd-Ost-Provinzen Mädchenschulen gegründet. Alle von Erös in Afghanistan aufgebauten Projekte werden nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ ausschließlich von Afghanen betreut. Auf „militärischen Schutz“ verzichtet der ehemalige Soldat, der sich auch schon mal mit den Taliban zum Tee trifft, dabei ebenso wie auf staatliche oder überstaatliche Hilfen.

Die allgemeine Situation in dem ohnehin überaus lebensfeindlichen Land habe sich trotz oder gerade wegen der westlichen Militärintervention nicht verbessert. In Gegenteil. „700 Milliarden hat der Westen investiert, und die humanitäre Situation ist heute schlechter als während der Taliban-Herrschaft.“

Die Widersprüche seien eklatant. Während die Bundeswehr beispielweise 1,2 Mio. Liter Alkohol pro Jahr für die Truppe herankarre, verfügten 90 Prozent der Afghanen nicht einmal über sauberes Wasser, hätten 68 Prozent keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, seien 61 Prozent der Kinder chronisch unterernährt.

100000 getötete Afghanen in den letzten zehn Jahren und 2300 tote Soldaten seien zudem ein gewaltiger Blutzoll. Reinhard Erös´ Blick in die Zukunft ist pessimistisch: „Das wird schlimm enden.“

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