Jewgenij Kolmanovitsch
Jewgenij Kolmanovitsch
Samstag, 12. März 2011
Klavierkonzert in dankbarer Erinnerung
Es war ein Wiedersehen nach 20 Jahren. Mit den Menschen aus Flegessen und Hasperde, vor allem aber mit dem einzigen froschgrünen Flügel weit und breit. 1991 war der aus der Ukraine stammende Konzertpianist Jewgenij Kolmanovitsch in den Westen übersiedelt.
Bild: Jewgenij Kolmanovitsch spielt Chopin und Liszt auf dem grünen Flügel
„Mehr als 500 sogenannte Kontingentflüchtlinge hatten damals in der Aufnahmestelle des Landes, der ehemaligen Bundesbahn Internatsschule Schloss Hasperde, Unterkunft gefunden“, erinnert sich Erwin Schlatterer.
Der heute 68-Jährige war damals als Mitarbeiter des Münderaner Sozialamtes für die Integration der überwiegend jüdischen Sowjetbürger zuständig. „Allesamt Akademiker, vorwiegend hochkarätige Musiker, ohne Deutschkenntnisse, die kaum in den hiesigen Arbeitsmarkt zu vermitteln waren.“ Irgendwie hatte Schlatterer aber nicht nur ein altes Fahrrad der Frau des Pastors, sondern auch den grünen Flügel für Kolmanovitsch auftreiben können. „Auf dem hat er geübt. Acht Stunden am Tag. Wie besessen. Dabei war er bereits ein berühmter Pianist und Klavierlehrer in St. Petersburg“, erinnert sich Schlatterer.
„Heute kaum vorstellbar, wie Jewgenij damals mit zwei bronchitiskranken kleinen Kindern und seiner jungen Frau in einem kleinen Zimmer der späteren Seniorenresidenz hausen musste“, staunt auch Monica Gräfin Adelmann. Die meisten der damaligen jüdischen Kontingentflüchtlinge hätten ihre Kinder vor dem Wehrdienst in der Roten Armee bewahren wollen, und deshalb Karriere und Heimat zugunsten eines unsicheren Neuanfangs im Westen aufgegeben.
Bild: Vor 20 Jahren Auffangstation für sowjetische Kontingentflüchtlinge – die heutige Seniorenresidenz Schloss Hasperde
Durch Gräfin Adelmanns Vermittlung war Kolmanovitsch wieder jetzt nach Hasperde und Flegessen gekommen. „Für ihn ist es ein Konzert in dankbarer Erinnerung an die Hilfe, die ihm und seiner Familie hier damals zuteil wurde“ fügte Pastorin Uta Bösche-Ritter hinzu.
Unter den Zuhörern auch Paul-Otto Rudolph aus Springe, dem der grüne Jugendstilflügel einst gehört hatte. „Der stammt von der Großmutter meiner Frau und ist um die Jahrhundertwende von den Gebrüdern Rohlfang in Osnabrück gebaut worden“, berichtete der Rentner. In den 70er Jahren habe man das Instrument dann mattgrün umspritzen lassen. Im Nachhinein sicher ein unverzeihlicher Stilbruch, aber dadurch sei andererseits aus dem Konzertflügel ein Unikum geworden.
An diesem Spätnachmittag im Gemeindehaus spielt Kolmanovitsch nicht bei Kerzenlicht, sondern unter der alles andere als romantische Stimmung ausstrahlenden Krankenhausbeleuchtung im Saal des Gemeindehauses Werke von Chopin und Liszt. Der sehr sportlich, ja fast asketisch wirkende Mann mit den graumelierten Haaren, dem schwarz glänzenden Hemd und der großen grauen Fliege nähert sich den Stücken beider Komponisten in einer deutlich anderen Zugangsweise als westliche Interpreten. Zwar spielt auch er mit hingebungsvoller Intensität, doch erliegt er nicht den Verlockungen übermäßiger romantischer Dramatisierungen und stellt individuelle Interpretationsansätze zugunsten einer sehr disziplinierten Vortragsweise hintan.
„Üben, üben, üben, bis er herausbekommen hatte, was der Komponist uns sagen wollte“, erinnert sich Schlatterer an Kolmanovitschs Hasperder Zeit.
Der entlockte mit seinem Spiel nicht nur den älteren Damen beim Lisztschen „Liebestraum“ den einen oder anderen Seufzer, sondern war ab und an auch selbst hingerissen – von dankbarer Erinnerung und der Wiedersehensfreude mit „seinem“ alten froschgrünen Flügel.