Balladenschreiberin
Balladenschreiberin
Donnerstag, 17. März 2011
Am Anfang stand die Lektüre eines DEWEZET-Artikels über das Geschlecht derer von Everstein. Als die 14-jährige Schülerin Viktoria Haake den gelesen hatte, wusste sie: „Das ist meine Story.“ Passte doch die grausige Geschichte des wegen Verrats an seinem Lehnsherrn hingerichteten Grafen Konrad haargenau zum Thema des Deutschunterrichts. In dem beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler der 7A des Schiller-Gymnasiums zusammen mit ihrem Klassen- und Deutschlehrer Maik Hemmecke nämlich gerade mit der Gedichtform „Ballade“.
Ein paar Wochen habe sie schon am Text gewerkelt. „Das geht nicht an einem Stück, sondern sehr langsam, da man die richtigen Worte und passenden Reime suchen muss“, berichtet die Siebtklässlerin. Sie schreibe eigentlich zwar lieber Fantasy-Geschichten („Über Götter und so“), wolle später einmal „Autorin“ werden, aber auch die Geschichte vom Grafen Konrad habe sie fasziniert. Der hielt es, obgleich Vasall Heinrichs des Löwen, mit den Todfeinden des Welfen, den Staufern – und endete zu Tode verurteilt in Braunschweig, wo man ihn als unehrenhaften, eidbrüchigen Verräter an den Füßen aufhing. Drei Tage lang dauerte sein Todeskampf.
Für Viktoria ein absolut balladentauglicher Stoff. „Wir durften entweder etwas über den Untergang der Titanic oder ein freies Thema machen, und ich habe mir diesen Stoff anstelle eines neumodischen ausgewählt“ erklärt Viktoria.
So eine Ballade abzufassen, das schule die Ausdrucksfähigkeit und forme das Sprach- und Taktgefühl, meint auch Deutschlehrer Maik Hemmecke. Im Balladenprojekt geht es ihm daher nicht vorrangig ums Auswendiglernen, stattdessen werden klassische und moderne Balladen vorgetragen und in kleinen Rollenspielen szenisch vorgestellt – oder eben selbst produziert.
Natürlich müsse zuvor der entsprechende Formenapparat erworben werden: Reimformen, Versmaß, Wortwahl, Recherche von geeigneten dramatischen Stoffen und vieles mehr. Hemmecke weiter: „Neben der Aneignung von genretypischen Stilmitteln müssen sich die Schüler natürlich auch mit den Inhalten selber auseinandersetzen.“
Das grausige Ende des Grafen Konrad – seine Sippe wurde später nach und nach ausgelöscht – beeindruckt die jungen Zuhörer zwar, lässt sie aber auch nachdenken: über die Ernsthaftigkeit eines durch Eid besiegelten Treueversprechens oder die Angemessenheit einer Bestrafung. „Heute käme Konrad vielleicht nur ins Gefängnis“, vermutet Viktoria.
Für sie und ihre Mitschüler sind Balladen alles andere als eine antiquierte Literaturform. „In Songtexten aus den 90ern etwa geht es oft um tragische Beziehungskonflikte“, so auch Hemmecke, „Hip-Hop und Rap haben ebenfalls balladeske Erzählelemente, wie überhaupt die Nähe zur Musik ganz eng ist.“ Für den Deutschlehrer daher eine gute Möglichkeit, nicht nur handlungs- und produktionsorientierten Unterricht zu machen, sondern auch fächerübergreifende Aspekte zu betonen. „Musik, Geschichte, Deutsch, alles das fließt hier zusammen.“
Natürlich sei es legitim, wenn sich die jungen Balladenschreiber wie Viktoria an den großen Vorbildern orientierten. Schließlich lerne man dabei ganz neue Vokabeln, meint Viktoria. Etwa das Wörtchen „lobesam“. „Das heißt soviel wie ehrenhaft, aber das kennt heute keiner mehr“, erläutert die junge Gedichtschreiberin. Und dass sie die Zeitung seit der Graf-Konrad-Story immer ganz genau liest, das versteht sich nach dem Erfolg mit ihrer Ballade von selbst. Schließlich sind sie und ihre Mitschüler immer auf der Suche nach einem guten Stoff für weitere Texte. Es muss ja nicht immer gleich so eine blutrünstige Geschichte sein.
Viktoria Haake: Das Ende derer „von Everstein“
Als Graf Konrad lobesam
1256 zu Tode kam,
hätte man meinen sollen, dass
er ehrenvoll starb, was
aber so nicht zutraf, denn
er wurde gerichtet. Von wem?
Im Norden herrscht Heinrich – „der Löwe“ genannt
aus dem Geschlecht der Welfen – geachtet, bekannt,
und ihm zu Diensten sind „seine“ Fürsten und Grafen,
die sich stets gern bei ihrem Herrn in Braunschweig trafen.
Nur die „von Everstein“ aus dem Weserlande
intrigierten und knüpften ganz andere Bande.
Die Staufer waren es, die ihnen mehr zusagten,
mächtige Herrscher, die das „Heilige Römische Reich“ vertraten –
dort, so meinte Graf Konrad, lägen Zukunft und Ruhm.
So denkend rechtfertigt er sein frevelndes Tun
und wendet sich ab von seinem Braunschweiger Herrn.
Der aber sieht das gar nicht so gern;
denn die Staufer waren Generationen-lang,
der Erzfeind der Welfen. Und so klang
die Kunde, dass Graf Konrad den Eid,
geschworen auf ihn, Heinrich, seinerzeit,
nun gebrochen aus Habgier und Lust
wie Verrat in der herzöglichen Löwen-Brust.
Ihn, Heinrich den Löwen, so zu erniedern!
Darauf kann er nur eines erwidern.
Man „geleitet“ Graf Konrad von Everstein
Von seiner Burg zwangsweise nach Braunschweig hinein,
um ihn dort sehr deutlich zu (be)-richten,
dass es vorbei sei mit seinen Geschichten.
Heinrich der Löwe entscheidet deutlich und klar,
was gleichzeitig das Ende des Grafen Konrad war,
dass man diesen hängen soll, mit den Füßen nach oben.
So wurd´ Konrad kopfüber nach oben gehoben,
angehängt – und hing noch volle drei Tage am Leben,
bis er seine Seele an Gott hat zurückgegeben.
Ein schlimmer Tod für ein schlimmes Vergehen;
Doch wir sollten – meine ich – beide verstehen.
Das Geschlecht derer von Everstein wurd´ nach und nach ausgemerzt.
1453 der Letzte. Sie hatten mit dem Eide gescherzt.