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Vorspiel entscheidet

Vorspiel entscheidet

Montag, 21. März 2011

Manchmal reicht schon ein gelungenes Vorspiel

Von Christoph Huppert

„Wann? Freitagabend. Na gut. Mach´ ich.“ Habe ich wieder einmal zugesagt, ohne zu prüfen, ob´s an diesem Abend Fußball oder einen meiner Lieblings-Tatorts in der Glotze gibt. Egal. So eine Eröffnung einer Kunstausstellung in unserem kleinen Städtchen ist ein Termin, der eigentlich keine großen Überraschungen in sich birgt. Radiotechnisch zumindest ist alles vorhanden, was für einen passablen Vier-Minüter notwendig ist: Interviewpartner, die in ganzen Sätzen reden können, jede Menge bunte Bilder, ein „Experte“, der sich weder kurz fassen kann noch will, die unvermeidlichen Musikanten, die das betagte Klavier traktieren und den Gästen was auf dem Saxophon vortuten. Sekt, Chips und Knabberkram für die „Kunstfreunde“ jeglicher Altersgruppe sind ausreichend vorhanden. Und dass man bei uns stets einen Parkplatz direkt vor dem Ausstellungsraum findet, ist einer jener unbestrittenen Vorteile unseres Kunst- und Kurbetriebs.

Das Vorspiel ist wichtig. Es empfiehlt sich für den als Kunstkritiker agierenden Reporter daher etwa eine Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn zu erscheinen. Um die Lage zu sondieren. Erst einmal feststellen, wer gekommen ist und – wichtiger noch – wer heute schwänzt. Soso, die Bürgermeisterin hat einen ihrer Vertreter geschickt. Der repetiert noch schnell seine sicherlich bedeutende Rede. Garniert mit Oscar-Wilde-Bonmots aus dem Web. Die Künstlerin, eine sommerlich farbenfroh gekleidete, attraktive Mitvierzigerin schwatzt angeregt mit ihren eigens angereisten Freunden. Die üblichen zweieinhalb Dutzend Kunstbeflissener begrüßen sich erst einmal gegenseitig, schließlich geht es hier wie überall ums Sehen und Gesehenwerden. Die Kunstwerke, sehr farbig, Acryl und irgendwas auf Leinwand, Pappe und Karton bleiben erst einmal von marginalem Interesse. Die werden erst später in Visier genommen.

raz_huppi_bild_2Im Geiste gehe ich schon mal die möglichen Interviewpartner durch, überlege, wen ich was fragen werde. Die Künstlerin Fragen zur Person, zur künstlerischen Technik, zum Inhalt und zur „Message“ ihres Schaffens. Immer vom Einfachen zum Komplexen. Den „Experten“, was für ein Experte er denn eigentlich ist, woher er kommt, warum er so wichtig ist, na, und vielleicht auch was zu den Bildern. Die beiden Musiklehrer werden mir zusammen mit dem Hintergrundgebrabbel der Gäste den akustischen Rahmen meines Beitrags liefern. Wo aber sind die beiden dringend benötigten älteren Damen? Ohne die nämlich kann ich Bilder radiophon nicht in Szene setzen. Wenn die nicht da sind, dann kann ich auch gleich wieder gehen.

Glück gehabt. Da drüben stehen sie. Momentan die einzigen, die sich den Bildern zugewandt haben. Ich schleiche mich an, schnappe Wortfetzen auf wie „Volkshochschulkurs … meine Tochter auch … ganz nett … schöne Farben.“ Genau das, was ich brauche. Die beiden Damen werden mir helfen, die Bilder akustisch umzusetzen. Also los. „N´Abend. Gefällt Ihnen, ne?“ beginne ich tastend. Die Damen schauen zu mir, sehen den großen blauen Mikro-Überzug. Jetzt gilt´s. Entweder Flucht oder Redeschwall. Gott sei Dank das Letztere. „Ach wissen Sie, junger Mann …“ beginnt die eine und liefert – ich kann mein Glück kaum fassen – eine detaillierte Bildbeschreibung. Wohl mein Glückstag heute, denn es sprudelt nur so aus ihr heraus. Ich werde kühn. „Ihnen scheint´s nich´ so zu gefallen“, provoziere ich die andere. „Zu bunt, viel zu bunt“, reagiert die wie erwartet. Ich jubele innerlich, denn jetzt habe ich schon vor Beginn der Vernissage den „kontroversen Charakter“ dieser bunten Bilderparade im Kasten. Der Rest ist Routine, denke ich gerade, da beginnt die Musik. Zufrieden lehne ich mich zurück und halte nach den Chips Ausschau. Ich liebe einfach Kunstausstellungen und ältere Damen. Manchmal reicht da nämlich schon ein gelungenes Vorspiel.

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