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Theaterkritik: Die Vermessung der Welt

Theaterkritik: Die Vermessung der Welt

Mittwoch, 13. April 2011

Die Aufgabe war schwer, doch am Ende ging die Rechnung auf. Dirk Englers Bühnenfassung von Daniel Kehlmanns 2005 erschienenem Bestseller „Die Vermessung der Welt“ in der Inszenierung von Christian Nickel fand großen Anklang. Das Spiel des Altonaer Theaters um die beiden Wissenschaftsheroen, den Naturforscher Alexander von Humboldt und das Mathematikgenie Carl Friedrich Gauß, quittierten die Zuschauer im fast vollbesetzten Theater mit anhaltendem Applaus.

Zwei völlig gegensätzliche Charaktere trafen da aufeinander: hier der von einem nahezu unerschöpflichen Forscherdrang getriebene, die Welt und letztlich sich selbst durchmessende Alexander von Humboldt, dort der in sich gekehrte, ebenso geniale wie pessimistische Carl Friedrich Gauß.

Mit Einfallsreichtum, Farbigkeit und viel Humor bringt Christian Nickel die Doppelbiografie auf die Bühne, verwandelt Kehlmanns komplexe Erzählstruktur in ein frisches, ja mitunter respektlos freches Bühnenstück.

Aber darf man mit hehren Wissenschaftsikonen so umgehen? Man darf. Man muss sogar. Erst ein Lächeln – etwa über die Gaußsche Formel-Orgie bei der Errechnung des Osterdatums – erschließt diese komplexen Persönlichkeiten, befreit sie von ihrer Legendenverkrustung und macht Menschliches sichtbar.

Beide Hauptakteure finden das richtige Maß. Jacques Ullrich spielt einen Humboldt, der sich sein jungenhaftes Staunen bis zum Ende bewahrt, einen fortwährend Suchenden, der, von Nickel in wunderschön gestaltete Szenen verpackt, die Urwälder Amazonien durchmisst und den Gipfel des Chimborazo (fast) erklimmt. Und doch bleibt er, scharf kontrastiert durch seinen Weggefährten, den lebensfrohen Franzosen Bonpland, preußischer Staatsbeamter durch und durch.

Carl Friedrich Gauß hingegen, dargestellt von Stephan Benson, vermisst die Welt von der Göttinger Studierstube aus, doch sind die Geistesblitze des fortwährend leidenden Misanthropen nicht weniger faszinierend als Humboldts Amazonasabenteuer.

Die Qualität von Stück und Inszenierung aber entscheidet nicht die fantasievoll wechselnde äußere Bühnengestaltung, sondern erst die gelungene Sichtbarmachung der Innenansichten zweier Genies, die bei der Vermessung der Welt an Grenzen in sich selber stoßen.

Die Inszenierung des Altonaer Theaters war in summa eine Rechnung, die aufging. Nicht zuletzt, weil der gewählte Maßstab stimmte.

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