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Fahrstunde à la Siziliana

Fahrstunde à la Siziliana

Dienstag, 03. Mai 2011

Fahrstunde à la Siziliana

Von Christoph Huppert

Bild: Finden immer eine Lücke. Motorrad- und Rollerfahrer in Palermo

 

 

Meine Frau liebt Überraschungen. So wie diesen Flug ins Blaue. Palermo also. Eine Woche Sizilien. Kaum hatte der Billigflieger seine Passagiere zwischen imposanten Felsen und prospektblauem „Mare Tyrrhenico“ ausgespien, Überraschung Nummer 2. Statt Bustransfer zu irgendeinem Hotel, Fußmarsch zum Rent-a-Car-Parkplatz. Dort, unter glutheißer sizilianischer Sonne, Überraschung Nummer 3: eine niegelnagelneue voralpine Luxuskarosse, Tachostand 187. Mit allem Schnickschnack und jenem Innenraumduft werksneuer Fahrzeuge, der selbst eingefleischte Opel-Corsa-Fahrer wie mich in schiere Verzückung versetzt. „Damit fährst Du uns jetzt zwei Wochen lang durch ganz Sizilien“, sagte sie, und hatte das Gepäck bereits blitzartig verstaut. „Wir übernachten, wo es uns Spaß macht. Erst mal hier runter, die E 90 lang in die Stadt zum Giardino Inglese“, so die nächste klare Ansage. Gesagt, getan.

Doch wer vom Westentaschenformat eines Corsa auf ein weiß-blaues Edelgefährt umsteigt, der fühlt sich in seine erste Fahrstunde zurückversetzt. Schon beim ersten Abbiegen demonstrierten Scheibenwaschanlage und Wischer statt des erhofften Blinkers ihre beeindruckenden Fähigkeiten. Immerhin das Geradeausfahren klappte, und die Beschilderung zum „Giadino Inglese“ war landesuntypisch hervorragend. Besser noch. Vor Ort sogar ein freier kostenloser Parkplatz, wie für uns geschaffen. Meine typisch deutsche Frage, ob man hier wohl parken dürfe, erntete ein bereits an mediterraner Mentalität orientiertes „Bestimmt, stell dich nicht so an.“

Der 1851 im Stil eines englischen Landschaftsparks angelegte Park ist eine Oase im endlosen Verkehrstrubel der Stadt. Für mich Gelegenheit mich mental auf das Kommende vorzubreiten. Zwei Wochen Sizilien.  Unter den kritischen Blicken der 1878 von Benedetto Civiletti geschaffene Marmorgruppe der Freiheitskämpfer des griechischen Unabhängigkeitskrieg und dem 1891 errichteten Denkmals von Guiseppe Garibaldi. Aber die Jungs hätten mir bei dem was kam, auch nicht helfen können.

„Da vorne, die SS 186 lang, Corso Calatafimi, und dann rechts.“ „Sicher?“ „Glaub´ schon.“ Die Versuche, das bordeigene Navi zu programmieren, waren erfolglos geblieben. Und dann waren wir plötzlich mittendrin. Von wegen SS 186 oder Corso soundso. Irgendeine Demonstration oder Prozession musste das sein, oder doch ein über die immer enger werdende Straße quellender Wochenmarkt? „Hier is´ noch Platz“, sagt meine Beifahrerin, was im gleichen Augenblick ein Dutzend Rollerfahrer, die sich durch die Lücke rechts quetschten, bewahrheitete. Der freundliche graumelierte Herr und die füllige Oma in der Kittelschürze, die direkt vor unserer Nobelkarosse offensichtlich die Tagesaktualitäten diskutieren, stört das wenig. Erst als der Kühlergrill sie fast berührt, treten sie freundlich lächeln zur Seite.

Schnell werde die Grundmuster sizilianischer Verkehrspsychologie klar: Schilder sind dazu da, Werbeplakate oder sonst was daran zu befestigen, gefahren wird, wo Platz ist, eine Beule ist eine Beule und kein Beinbruch, und wer kommt schon ohne Schrammen durchs Leben. Was STVO-feste deutsche Automobilisten als Chaos empfinden, erweist sich alsbald als intensive Form  kommunikativen Miteinanders, geht doch der Blick nicht auf die abstrakte Vorschrift, sondern immer hinüber zum anderen Verkehrsteilnehmer. Ein Miteinander, das zwar erhebliche Nervenstärke erfordert, die etwa dem legendären Gang Ulrich Wickerts über den Pariser Place de la Concorde entspricht, die aber auch jede Menge liebenswerten Charme besitzt.

Wer die Fahrstunde à la Siziliana über den Wochenmarkt in Palermo Richtung „Duomo Monreale“ schrammen- und beulenfrei bestanden hat, den erschüttert dann auch das kleine Zettelchen nicht, das halb unter die Motorhaube gerutscht war. Nein, keine Warnung der Mafia, sondern ein sizilianisches Knöllchen, ausgestellt von sicherlich freundlichen Carabinieri am „Giardino Inglese“. Wie gesagt, meine Frau liebt Überraschungen. Das nächste Mal bin ich dran und in England haben sie Linksverkehr.

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