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Priess-Lesung „Mitte der Welt“

Priess-Lesung „Mitte der Welt“

Montag, 23. Mai 2011

Im Vortragsraum der Stadtbibliothek drängen sich fast ausnahmslos Frauen. Liegt´s daran, dass Ursula Priess ihre „Erkundungen in Istanbul“ jenseits touristischer Pfade mit sehr viel weiblichem Fein- und Sprachgefühl inszeniert hat? Über einen Zeitraum von 19 Jahre habe sie immer mal wieder in Istanbul gelebt, so die Tochter von Max Frisch, die auf Einladung der Hamelner Bibliotheksgesellschaft aus ihrem im vergangenen Herbst erschienenen Istanbul-Buch „Mitte der Welt“ las.

Priess verdeutlicht, dass die Wahrnehmung Europas und der Welt vom Standort Istanbul aus wenig mit westlichen Perspektiven gemein hat. „Europa und die Welt rücken an den Rand, man selbst steht dort im Zentrum.“ Es sind behutsame Frauengespräche im türkischen Bad, die die Autorin zur Lesung ausgewählt hat. Behutsam auch ihre Annäherung und Aneignung dieser uns letztlich  fremden Welt, die sie in einem Reigen von Geschichten voll impressionistischer Detailschärfe zu erfassen sucht.

Ursula Priess´ Kenntnisse über die osmanische Lebenswelt, über Kultur, Gesellschaft und Geschichte des orientalischen Raumes sind immens. Doch ihre „Erkundungen“ sind keine auf Äußerlichkeiten beschränkten Reiseführer-Texte, keine Tiefe suggerierenden Reportagen, schon gar keine vordergründigen Integrationsappelle.

Eigentlich ist die Frisch-Tochter, die sich in ihrem ersten Buch mit ihrem Verhältnis zum Übervater auseinandergesetzt hatte, auf der Suche. nach einer anderen Form des Glücks. Sie stellt sich die zentrale Frisch-Frage nach der Identität aus anderer Perspektive. Aus dem „Wer bin ich?“ des Vaters wird das „Wie sehen mich andere?“ der Tochter, und – literarisch gesehen – das „Wie kann ich über lebende Menschen einer anderen Kultur schreiben?“

Fragen, deren Antworten hinter dem Durchkneten der Frauenkörper im türkischen Bad liegen, Fragen, die Priess in ihren Skizzen ohne aufgeladene Symbolik sprachlich zu verdichten sucht, und von deren Antworten die Zuhörer anhand der fremdartigen Einrichtung des türkischen Bades, des Hamam, allenfalls einen Eindruck erhaschen können.

Deren anschließendes Interesse dreht sich dann auch wieder um Handfestes: Kopftuchfrage, Erdogans verhüllte Frau, Land und Leute, Touristisches, Türken, Kurden, Armenier und Europa. Ursula Priess´ Erkundungen der „Mitte der Welt“ aber suchen auch andere, viel persönlichere Wege.

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