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Ayoma Abeywickrama spielt Cricket

Ayoma Abeywickrama spielt Cricket

Montag, 19. September 2011

Cricket? Da spielen doch ganz in Weiß gekleidete Herren auf feinstem englischen Rasen ein Wochenende lang ein scheinbar endloses Ballspiel. Ohne sich dabei groß zu bewegen und nach Regeln, die außer ihnen wohl kaum jemand begreift. Cricket, das ist die britische Variante des ungleich dynamischeren amerikanischen Baseballs.

Das sind nicht mehr als vorurteilsbehaftete Halbinformationen. Ayoma Abeywickrama weiß es besser. Der 33-jährige Industriemechaniker stammt aus Sri Lanka und lebt seit 1994 im hintersten Winkel des Hamelner Ortsteils Holtensen.

Eigentlich nichts besonderes, wäre der sportliche junge Linkshänder nicht seit Juli Mitglied der Deutschen Cricket Nationalmannschaft.  Cricket ähnele in der Tat dem Baseball, erklärt er.

Das Spielgeschehen drehe sich um ein vom Schläger, dem Batsman, zu bewachendes Mal, dem Wicket, hinter dem der Fänger, Keeper genannt, auf den ihm vom Werfer, dem Bowler, zugeworfenen Ball lauere. Erwische der Batsman den Ball, dann versuchten die übrigen Spieler zu bestimmten Marken auf dem Feld zu laufen und Punkte (Runs) zu ergattern. So die Grundidee.

Abeywickrama weiter: „Jeweils eine Zeit lang ist eine Mannschaft diejenige, die Runs erzielen kann, während die andere versucht, dies zu verhindern. Anschließend wird gewechselt. Eine solche Phase heißt Innings. Pro Spiel gibt es  je nach Spielformat ein oder zwei Innings pro Mannschaft.“ Ein Team besteht aus elf Spielern. Von der Mannschaft, die Runs erzielt, der Schlagmannschaft, sind immer nur zwei gleichzeitig auf dem Spielfeld, die beiden Batsmen.

„Entscheidend“, so der Holtensener Cricket-Spezialist, „ist die Wurftechnik des Bowlers. Die ist streng geregelt und wird vom Team-Captain festgelegt.“  Der Wurfarm darf, sobald er die Höhe der Schulter erreicht hat, nicht mehr gestreckt werden, was in der Praxis fast immer dazu führt, dass der Arm in diesem Moment schon voll gestreckt ist und bleibt.

Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass der Ball so „gebowlt“ wird, dass er vor dem Batsman auf dem Boden aufkommt. Die Regeln verbieten, dass der Ball den Batsman über Hüfthöhe erreicht. Obwohl der Ball beim Aufkommen viel an Geschwindigkeit verliert, wird dem Batsman so das Schlagen des Balles erschwert.

Abeywickrama: „Der Bowler gibt ordentlich Power in seinen Wurf. Er kann ihm einen Spin oder einen Effet geben.“ Dass der Batsman gut geschützt sein muss, ist klar, da gute Bowler die kleine Lederkugel mit bis zu 160 Stundenkilometern abfeuern können.

In den Ländern des ehemaligen britischen Commonwealth wie etwa Australien, Indien oder Pakistan ist Cricket Volks- und Nationalsport. Auch in Deutschland hat der Sport eine lange, jedoch fast vergessene Tradition. Nachweislich wird hierzulande seit 1864 Cricket gespielt; 1891 wurde sogar die erste deutsche Ballsportvereinigung als „Deutscher Fußball- und Cricket Bund“ gegründet. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es allein in der Reichshauptstadt 26 Cricket Clubs.

Mit der Kommerzialisierung des Fußballs nach dem Zweiten Weltkrieg aber verlor Cricket nahezu vollständig an Popularität. Mit den Mannschaften verschwanden auch die „Pitches“, die Cricketfelder.

Erst Ende der 80er Jahre wurde auf Initiative Cricket spielender Nationen auch in Deutschland der Deutsche Cricket Bund (DCB) neu gegründet. In diesem Dachverband haben sich derzeit vier Verbände mit rund 40 Clubs in fünf Ligen organisiert.

Der ehemalige „Sport der Kolonialherren“ ist jedoch in Deutschland heute eine absolute Randsportart. Anders im Ursprungsland Großbritannien. Dort wurde der „Gentlemen´s Sport“ bereits Mitte des 18. Jahrhunderts gespielt, vornehmlich von Adligen. Mit der Kolonialisierung Ostasiens, Afrikas und des Pazifischen Raums gelangte Cricket im 19. Jahrhundert dann in alle Welt.

Ayoma Abeywickrama muss zum Training nach Göttingen oder Hannover fahren. „Diesen Sport auszuüben ist aufwändig, denn man muss viel unterwegs sein“, erklärt er. Nur in Göttingen und am Pferdeturm in Hannover gäbe es geeignete Cricketfelder. Nicht jedes Feld eigne sich, da ein spezieller Untergrund benötigt werde. Auch die Fahrtkosten für die Teilnahme an den Spielen der Nordliga, die bis Kiel hinauf reicht, gingen ins Geld. „Da kommen pro Monat schon mal leicht 100 Euro zusammen“, so der Holtensener.

Cricket, das sei kein Sport für Individualisten und für konditionsschwache ältere Herren. Kondition und taktische Mannschaftsleistung zählten. Und spannend sei es allemal. Auch wenn eine Mannschaft schon reichlich „Runs“ vorgelegt habe, bleibe die Spannung im Spiel, denn da die andere Mannschaft alles noch aufholen könne, sei eine vorzeitige Entscheidung nicht möglich. „Das Spiel kann immer noch gedreht werden.“

Infolge seiner über Jahre hinweg guten und beständigen Leistung ist Ayoma Abeywickrama  im Sommer in den Kader der Cricket-Nationalmannschaft aufgenommen worden. Im Juli durfte der Hamelner bei der Europameisterschaft in Jersey und Guernsey gegen ausgewiesene europäische Cricket-Nationen wie Frankreich, Gibraltar, Dänemark oder Italien antreten. Leider ohne großen Erfolg.

Vom hochdotierten Profi-Cricket kann Ayoma Abeywickrama nur träumen: von bei uns unbekannten internationalen Stars und Legenden wie Donald Bradman, der mit statistisch 99.94 Runs pro Innings als bester Schlagmann aller Zeiten verehrt wird; oder von Adam Gilchrist, dem besten Wicket-Keeper der letzten Jahrzehnte, der im Dezember 2006 100 Punkte aus nur 57 Bällen erzielte.

„Bei unseren Spielen sind immer mehr junge Zuschauer dabei“, berichtet Abeywickrama , „aber es gibt leider zu wenig Möglichkeiten selber aktiv zu spielen. Und die Ausrüstung ist auch nicht ganz billig.“ Stollenschuhe kosten rund 80 Euro, für Handschuhe müssen knapp 40 Euro ausgegeben werden, Arm- und Beinschützer belasten die Kasse mit jeweils 30 bis 40 Euro. Da deutsche Sportgeschäfte mangels Nachfrage meist keine Cricketausrüstungen führen, muss alles per Internet bestellt werden. „Am teuersten ist der Schläger, der zwischen 150 und 500 Euro kosten kann.“

Da in Hameln viele britische Soldaten stationiert seien, müsste es hier doch auch eine Möglichkeit geben, Cricket zu spielen?“ fragt sich der frisch gebackene Nationalspieler. „Was im Camp Fallingbostel möglich ist, so drei bis vier schöne Felder, das wünsche ich mir für Hameln auch.“

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