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Günter Lamprecht ist Franz Biberkopf

Günter Lamprecht ist Franz Biberkopf

Dienstag, 11. Oktober 2011

Da steht er nun. Mit schmerzverzerrtem Gesicht, sich die Ohren zuhaltend, denn der Großstadtlärm der Freiheit ist unerträglich. Für den soeben aus der Strafanstalt Berlin-Tegel entlassenen 30-jährigen Franz Biberkopf beginnt die eigentliche Strafe erst jetzt.

Bild: Günter Lamprecht und Theater-Direktorin Dorothee Starke beim Foyer-Gespräch

Mit dieser Sequenz aus Rainer Werner Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“-Verfilmung eröffnete Günter Lamprecht seine 90-Minuten-Lesung aus Alfred Döblins 1929 erschienenem Roman. Was für eine Lesung! Der ins gelbliche Licht einer 30er-Jahre Tischlampe gehüllte 82-Jährige ist ein begnadeter Vorleser, dessen Stimme die Vielschichtigkeit des Döblinschen Textes auf atemberaubende und spannende Weise erschließt: die gnadenlose Beschleunigung des Tempos der äußeren Veränderungen der Großstadt Berlin ebenso wie die inneren Befindlichkeiten und Seelenzustände des von Anfang an verlorenen Titelhelden Franz Biberkopfs. Dazwischen die von Döblin in expressionistischer Manier montierten nüchternen Sachtexte wie Dienstvorschriften für Vollzugsbeamte oder medizinische Beschreibungen der Sexualorgane.

Ja, es ist schon „ein höllisch Ding, das Leben“. Und das Lachen des Publikums beim Frauenhandel von Zuhälter Fränzchen und dem Ganoven Reinhold wird ihm alsbald im Halse stecken bleiben. Denn lange vor dem äußeren Niedergang des Romanhelden lässt Lamprechts Stimme erahnen, dass dieser Franz Biberkopf mit Leib und Seele im Moloch Großstadt versinken wird.

Franz Biberkopf, das ist die Rolle seines Lebens. Ob im Film oder bei Lesungen wie in Hameln, immer steht der Franz hinter Günter Lamprecht. Der steht auch nach der Energieleistung auf der Bühne seinem Publikum im Foyergespräch noch Rede und Antwort, erzählt, wie das war, als Fassbinder ihm die Biberkopf-Rolle antrug.

Lamprecht, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin Claudia Amm nach Hameln gekommen war, klagt über immer weniger Zeit für gute Produktionen, bedauert das Ausbleiben entsprechend niveauvoller Angebote aber nicht. „Nee, ich will nicht in irgendeiner Serie rumhopsen, sondern brauche einen guten literarischen Stoff, der was zu sagen hat.“

Von dem Franz und dem Döblin komme er nicht ganz weg, gesteht er. „Ich leide für ihn, ich lebe für ihn.“ Was er ihm sagen würde, wenn er ihn auf der Straße träfe? „Na Mensch, wie et ihm erjangen iss. Wassa so macht, und dann würd´n wa ´n Bier trink´n jehn.“  Aber so Typen wie den Franz gäbe es heute ja kaum noch. „Und deshalb  guck´ ik immer janz genau hin, wo ik so een  sehe.“

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