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Nico Walser – ein Dorf-Punk kommt in die Midlife-Crisis

Nico Walser – ein Dorf-Punk kommt in die Midlife-Crisis

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Es gibt Erinnerungen, die wird man einfach nicht los. Wie jeder von uns, schleppt auch der in Bennigsen aufgewachsene Nico Walser die Last zahlloser Traumata mit durchs Leben. Doch der stramm auf die 50 zumarschierende Musikkabarettist weiß das, was andere in Depressionen stürzt, in wortgewaltige, äußerst amüsante Erinnerungsarbeit umzusetzen.

In der von Lutz Rädecker im August des vergangenen Jahres eingerichteten, rappelvollen „KleinkunstBühne“ Springe gab Nico Walser in seiner „Schau-Lesung“ Einblicke in seine Jugend in den 70ern und 80ern am Deister.

In einem britischen Sommerschul-Camp vom Punkvirus infiziert, stylte sich der Bennigser Rebell zum „Dorf-Punk“, mit Sicherheitsnadel an der Backe und rohem Ei im Haar.

Bittersüß Walsers schonungslose Abrechnung mit der gymnasialen Bildungseinrichtung Springes, die ihn nicht nur wegen der Unvereinbarkeit von Blockflötenunterricht und Rock ´n´ Roll aus ihren Reihen entfernte.

Ob in seinen sehr dichten, ausdrucksstarken und von heute fast historischer Szenesprache überquellenden Erinnerungstexten oder seinen bewusst kurz gehaltenen Liedchen, Nico Walser, dem Ex-Dorf-Punk, gelingt ein sehr überzeugender, atmosphärisch treffender Rückgriff ins Vor-Handy-Zeitalter. „Lange vor der Generation Klingelton“, seufzt der gealterte Walser, der sich heute wie „Ozzy Osbourne im Körper von Patrick Lindner“ fühlt.

Verheerend daher auch seine Analyse von Teilen der heutigen Jugend, die er vor allem auf die „Frontberichte“ seiner Frau aus einer „Brennpunkt Hauptschule“ stützt.

„Hohe Absätze, kleine Hauptsätze statt Aufbegehren“ laute da das Motto jugendlicher Leitkultur, und während die Jugendlichen von heute „im Ein-Euro-Markt noch nach Preisschildern“ suchten, ziehe er sich lieber in „sentimental-nostalgische Anwandlungen“ zurück. Aus dem Dorf-Punk vom Deister, den es nach NRW verschlagen hat, ist ein „Pantoffelpunker“ geworden.

„Wir riefen früher ´no future´, dann aber gab´s plötzlich doch eine“, sinniert Walser. Und stellt überrascht fest: „Ich habe gemerkt, meine Texte sind nicht nur lustig, die haben auch einen therapeutischen Charakter“.

Ja, es käme da viel hoch von früher, bei ihm und seinem Springer Publikum. „Trotz aller Sentimentalität aber schön, wenn man zusammen in Erinnerungen schwelgen kann.“

Das Springer Publikum dankte dem Bennigser Ex-Dorf-Punk diese vielschichtige Therapiesitzung mit anhaltendem Applaus, und nahm die Erkenntnis mit nach Hause: „Ab 40 kommt die Schönheit von innen und der Durst wird größer.“ Punkerschicksal.

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