Wittes Weihnachtsbilderbücher
Wittes Weihnachtsbilderbücher
Donnerstag, 22. Dezember 2011
Abseits in einem Seitental der Emmer gelegen, scheint das Haus von Hans und Lydia Witte selbst einer Bilderbuchgeschichte entsprungen. Zumindest dann wenn sich der Besucher bei einfallender Dunkelheit den aus den Fenstern fallenden Lichtern des dunklen Gehöfts nähert.
Bild: Hans Witte ist Experte, wenn es um historische Weihnachtsbilderbücher geht
„A-B-C“, prangt ein großes Graffiti überm Eingang zu Wittes „Edition Einstein“, die im Erdgeschoß eine Druckwerkstatt, im ersten Stock einen Ausstellungs- und Vortragsraum birgt. In dem können weihnachtlich gestimmte Gäste derzeit eintauchen in die zauberhaften Fantasiewelten historischer Weihnachtsbilderbücher.
40 Exponate aus den vergangenen 130 Jahren haben die Wittes aus ihrer umfangreichen, in mehreren Jahrzehnten zusammengetragenen Sammlung ausgewählt.
„Die sind zwar damals für Kinder angefertigt worden, aber heute sind sie als kulturhistorische Dokumente vor allem für Erwachsene interessant“, erklärt Hans Witte.
Dokumente, die einladen zu einer Erinnerungsreise. „Da kommt lange Verschüttetes wieder hoch“, gesteht eine Endfünfzigerin bei Stöbern am Büchertisch. „Die Lieder und die Bilder, die man gelernt, vorgelesen und gezeigt bekommen hat, bevor man selber lesen konnte, die bleiben das ganze Leben.“
Für seine neugierigen Gäste hält Bilderbuchexperte Hans Witte in Führungen und Vorträgen allerlei Wissenswertes über das Genre bereit.
„Ausgangspunkt der deutschen Bilderbuch-Literatur war sicherlich Dr. Heinrich Hoffmanns ´Struwwelpeter´ von 1844“, berichtet er. Davor habe es vor allem „Bilderbögen im A3-Format“ gegeben, in denen in rund 20 Bildkästchen moritatenähnliche Geschichten mit Untertexten erzählt wurden. „Fast so wie in den späteren Comics. Vorzugsweise natürlich Gruselgeschichten.“
Die Einführung der Schulpflicht in den deutschen Provinzen sowie die Erfindung der Lithografie durch den Münchner Alois Senefelder um 1800 habe die mühsame Reproduktion und Handkolorierung früherer Zeiten abgelöst. Die forcierte technische Entwicklung zur Jahrhundertmitte führte dann zu einer „immensen Qualitätsverbesserung“ und zur Massenproduktion.
„Die Bücher wurden immer aufwändiger, gleichzeitig aber auch billiger. Sie konnten jetzt auch von weniger begüterten Familien gekauft werden.“ So wurden beispielsweise die Farbtafel mit Abbildungen exotischer Tiere, die Kinder früher nie zu Gesicht bekommen hatten, plötzlich gebräuchliches Lehrmittel in der Schule. „Dank der Farblithografie erlebte um 1850 das Kinderbilderbuch eine erste Blüte.“
Die fortschreitende Industrialisierung förderte vor allem in den Städten die Bilderbuchproduktion. Dabei war das Thema Weihnachtsfest von Anfang an fester Bestandteil der abgebildeten Themen. Witte: „Das stand neben anderen zeittypischen Themen wie den technischen Errungenschaften Auto, Eisenbahn und Zeppelin, aber auch vaterländischen und militärischen Themen.“
Die ausgestellten Weihnachtsbilderbücher ermöglichen einen kulturhistorischen und sozialgeschichtlichen Blick in die familiären Lebenswelten jener Zeiten, geben Aufschluss über Mode, Wohnungseinrichtungen, über Geschenke und Weihnachtsbräuche.
„Je aufwändiger das Buch nach Größe, Umfang, Bindung, Anzahl und Größe der Lithos gestaltet war, desto eher zielte es auf bürgerliche und großbürgerliche Käuferschichten ab.“
Freilich handelt es sich nicht selten um idealisierte, oft auch ideologisch missbrauchte Darstellungen und Sichtweisen.
So beim Thema „Weihnacht“ im Kinderbilderbuch des Dritten Reiches. „Völkische und nordische Elemente wurden in den Vordergrund gerückt“, weiß Witte. „Da findet sich hauptsächlich Volkstümliches aus alten landsmannschaftlichen und bäuerlichen Milieus mit entsprechender Zeichensymbolik.“ Die Rollenverteilung sei dementsprechend: die Frau als „Mutter im Haus“ und der Vater „als Ernährer und Verteidiger der Heimat“.
Christliche Elemente wie die Geburt Jesus, die Krippe oder die Engel wurden dagegen nahezu völlig ausgeblendet. Statt der Kippe erscheine, so Witte, die “kinderreiche Familie, die ein Neugeborenes in der Wiege betrachte“ als neues Ideal.
In den historischen Weihnachtsbilderbüchern nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich dann vorwiegend die die alten Bekannten wieder: Nikolaus, Knecht Rupprecht, das Christkind, Maria, Joseph, die Engel, Ochs und Esel, die Heiligen Drei Könige. Vielfach in landsmannschaftlich geprägtem, heimatliche Gefühle verheißendem Ambiente etwa aus dem süddeutschen Raum.
Bei der Sichtung historischer Bilderbücher zur Weihnacht hat Hans Witte Bemerkenswertes herausgefunden: „Ist Ihnen eigentlich mal aufgefallen, dass das Christkind und der Weihnachtsmann nie zusammen auftauchen?“ Unser Kaufhaus-Weihnachtsmann habe erst seit den 1930er Jahren seinen Siegeszug angetreten und seit derzeit dabei, den guten, alten Nikolaus komplett in den Hintergrund zu drängen. „Erst die Firma Cola-Cola hat ihm sein rot-weißes Outfit verpasst, das wir heute allgemein mit dem Weihnachtsmann verbinden“, berichtet Witte.
Heute dominierte vorrangig das Thema Unterhaltung, sei die rein religiöse Thematik vom konsumorientierten Festcharakter der Weihnacht überlagert, beklagt Witte. „Aber auch das ist ja ein Spiegel der Zeit, so wie es die Bilderbücher immer waren.“ Es lohnt sich daher, sich einmal durch einen kulturhistorischen Blick auf alte Weihnachtskinderbilderbücher erinnern zu lassen.