„Beatles. Das Weiße Album“ im Theater Hameln
„Beatles. Das Weiße Album“ im Theater Hameln
Sonntag, 15. April 2012
Wer bloß einen kuscheligen, nostalgieträchtigen Oldie-Abend mit einer musikalischen Beatles-Revue erwartet hatte, der war hier falsch. Gott sei dank. Denn was die fünf jungen, vom „Lippe-Saiten-Orchester“ begleiteten Schauspieler des Westfälischen Landestheaters da in Reinhardt Frieses „Beatles. Das Weiße Album“ auf die Bühne des Hamelner Theaters brachten, war nicht mehr und nicht weniger als eine absolute schauspielerische Spitzenleistung.
Bild: Hat Kultcharakter – das weiße Album. (Foto: Beushausen)
Schon der Auftakt ein Knaller. Aus dem überdimensionalen blendend weißen Würfel im Bühnenhintergrund knallen die Köpfe der vier Mädchen und des „Anchorman“ Roni Merza hervor, schleudern lautstark bekannte Zitate von Mao und Marx bis Kennedy ins ausverkaufte Haus. Was folgte war eine schauspielerisch wie sängerisch glänzende, schlicht begeisternde Inszenierung, in der die jungen Akteure in jeder Hinsicht handwerklich sehr großes Können demonstrierten.
Zeitungsmüll auf dem Boden stellte die Verbindung ins Jahr 68 her, setzte die Klassiker des Beatles-Kultalbums in den jeweiligen historischen Kontext. Schnell wurde deutlich, so das exzellente Programmheft, dass „hier der stilistische Eklektizismus der Beatles zum Ereignis“ wird. Eben deren vielschichtigen und vieldeutigen Aussagen, ihre Kreativität und Originalität, setzt Frieses nicht minder originelle Inszenierung sehr gekonnt und wirksam ohne störenden Schnickschnack, ohne Sentimentalität und Pathos um.
So wird aus unschuldigem Weiß bei „Mother Nature´s Son“ Giftgrün, das den Keim des Untergangs der scheinbar pastoralen Idylle schon erahnen lässt. Das folkige „Blackbird“ gerinnt zum Blackpower-Bekenntnis mit zornig hochgereckter Faust, und aus dem „All you need is love“ wird ein in grellrotes Licht getauchtes „Happiness is a warm gun“. Baader-Meinhof, brennende Kaufhäuser, Vietnamkrieg, Studentenunruhen, Dutschke-Attentat, Niederschlagung des Prager Frühlings („Back in the USSR“), freie Liebe. Liebe contra Hass und Gewalt?
Oder doch der bewaffnete Kampf? „Die Revolution beginnt im Kopf“, so eine Parole der Zeit.
„Kein Sinn ergibt Sinn“, ruft jemand. Nur „Dear Prudence“, die alles glaubt, kann man alles erzählen.
Stimmlich bieten die jungen Schauspieler allererste Klasse. Beatrice Reece beweist als „Prudence“ ihre immense Rockröhre, Cornelia Löhr begeistert nicht minder stimmgewaltig als „Martha“, Andrea Köhler als „Sexy Sadie“ und Sophie Schmidt ist eine grandiose „Julia“.
Überwältigend die Regieeinfälle wie etwa die Schwarzlichtschilder bei „Obladi oplada“ oder die gesamte Lichtgestaltung.
Nach einem tosenden, psychedelischen Farbgewitter folgt die von Ron Merza als düster-hypnotischem Mörder Charles Manson verkörperte, im Blutrausch ertrinkende „Helter-Skelter“-Verführung.
Am Ende tobt das stehende Publikum, feiert die Aufführung mit frenetischen Begeisterungsstürmen, und fordert drei Zugaben für einen Abend fernab jeder Nostalgie, sondern anhand hervorragend inszenierten Theaters lebendig gewordener Musik- und Kulturgeschichte.